Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 25./26. November 1873

Mein lieber Herzens Sohn!

Hab 1000 Dank für Deine lieben herzigen Wortte, die mir sehr wohl thaten. Karl kam auch an dem Tage früh zu mir, und so hatte ich ja von meinen beiden Söhnen Liebesbeweise. Ich erkenne es gewiß dankbar an, daß Ihr Beide so gut es meint, und schelte mich oft aus, daß mir das einsame Leben ohne irgend eine Pflichterfüllung so schwer wird, und ich mich so überflüssig fühle. In der ersten Zeit nach Häckels Heimgang war das Gefühl überwiegend, das er es überwunden habe und nicht noch mehr von den Beschwerden des hohen Alters leide, jetzt kommt aber immer mehr das Entbehren des geliebten Mannes hervor. ||

So durchlebt ich Sonnabend in Erinnerung, wie wir den Tag, der früher für unser Haus der größte Festtag war, so oft gefeiert, in Wehmuth; aber dabei war doch der Dank vorwiegend für alles was aus uns durch den theueren Vater geworden. Und wenn es mir manichmal schwer werden will, so sage ich mir, wie noch viel trauriger es wäre, wenn ich ihn so hülfloos hätte müssen zurück lassen.

Nun ist ja oft so im Leben, wenn wir uns auch sagen: was Gott schickt, ist gut; so wird es doch dem schwachen Menschenherzen recht schwer, sich in alles zu schicken. – ||

Daß es in Deiner Famielie, mein lieber Ernst, gut geht, und Du Befriedigung in Deiner Berufsthätigkeit hast, freut mich sehr; und ich wünsche, daß es so fort gehe. –

Hoffentlich hast Du meinen Brief bekommen, der sich mit Deinem gekreuzt, und darin ist ja die Frage wegen der Westphalia beantworttet, ich wartte mit dem Abschicken der unseren bis wir Deine hier haben. –

Daß der Schinken Euch schmeckt freut mich; meine Sachen sind noch nicht gekommen, ich wollte aber, daß Ihr nicht nur einen Schinken sondern auch 5 [Pfund]a Wurst für Euch behalten sollt. Schreib mir nur was die ganze Berechnung macht, damit ich es ein-||trage: Du hast ja Tante Bertha geschrieben, daß sie den Schinken, den sie erhalten wiegen soll, ich werde das mit ihr berechnen, und das übrige zahle ich, also schreibe ich in unserer Abrechnung, nur das Ganze ein, das ist am einfachsten. –

26/11 Eben mein lieber Ernst, erhalte ich von der Post die Sendung der Westphalia, und werde nun das Schicken nach Dortmund besorgen. Walterchen danke ich schön, daß er die Briefmarken ausgeschnitten hat, und ich freue mich, daß er es so gut macht, und dadurch beschäftigt ist. – Grüsse Deine liebe Frau und die Kinder herzlich und behalte lieb

Deine

alte Mutter

Lotte.

a Symbol für Pfund

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
26.11.1873
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36556
ID
36556