Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 16. – 18. Juni 1872
Potsdam 16/6 72.
Mein lieber Ernst!
Unsere Briefe haben sich gekreuzt, wußte ich es doch, daß Dich der Tod unserer Freundin Weiß sehr bewegen würde, wie es auch mir geht, freilich war ihr kein längeres Leben zu wünschen, und wenn wir sie ja auch jetzt nur selten sahen, so haben wir doch wieder ein treues Herz verlohren, sie liebte Dich sehr und erkannte Dich recht; ihr wurde aber jetzt recht schwer, körperlich so gehemmt zu sein, die letzten male, als ich sie noch sah, war es mir recht wehmüthig; nun wohl ihr, daß sie überwunden hat. – ||
Bei solchen Fällen durchlebt man in der Erinnerung so manches wieder, und wenn auch mit Wehmuth, doch auch mit Dank; und in dem Gefühl daß uns das bleibt, was wir wahrhaft geliebt haben.
Das Andenken an die Heimgegangenen soll uns immer mehr treiben, ihrer würdig zu leben. –
18/6 Seit gestern früh lebe ich wieder recht in Sorge um Clara, doch die heutige Nachricht ist besser. In den letzten Briefen hatte Karl ge-||schrieben: er würde Montag Clara bis Frankfurt bringen, und sie würde Dinstag hier ankommen. Da waren die Kinder voll Jubel und überlegten immer wie sie für die Mutter Blumen und Erdbeeren im Garten pflücken wollten. Da bekam ich gestern von Karl einen Brief, worin er schrieb, Clara habe ihre Reise aufschieben müssen weil sie einer Erkältung wegen Stubenarrest habe.
Heute Nachmittag bekam ich nun von Karl wieder Nachricht vom 17ten a; er schreibt ihr Arzt wäre sehr sorgsam, || sie hätten den 15ten eine Wärtterin genommen, damit Karls Cur nicht gestört werde, die Warttefrau sei ganz vortrefflich und auch die Wirthsleute sehr gut. Claras Schwester Frau Professor Büsche ist auch bei ihr; Am 15ten hatten Blutegel gesetzt werden müssen gegen die rheumatischen Schmerzen in der Seite, was auch gründlich geholffen habe, der Arzt sei zufrieden da auch der Fieberzustand sich wesentlich gebessert habe. Karl versichert mir nun die Krankheit || stehe in keinem Zusammenhang mit ihrem jetzigen Zustand. –
Gott gebe nun, daß alles gut vorübergehe. Reisen kann Clara jetzt nicht, Karl denkt nun, daß sie mit ihm zurückkommt.
In dem gestern erhaltenen Brief schreibt Karl über sein Befinden: mir bekommt die Kur jetzt recht gut; der noch dann und wann vorkommende kurze anstoßende Husten ist ganz geschwunden, ich habe trefflichen Appetit und das Herumlaufen mit Maaß bekommt mir sehr wohl. – ||
Es ist recht gut, daß Fräulein Dittmann, die Freundin von Clara, noch länger bei den Kindern bleiben kann und will. – Die beiden Jungen sind bei mir. Morgen erwartte ich Bertha und Hermann Bleek. Ich hätte Dir vielleicht nicht schreiben sollen welche Gedanken mich jetzt bekümmern, und doch ist es mir, als müßte ich mich über alles gegen Dich aussprechen und müßtest Du alles mit mir theilen. ||
Die Kinder sind, Gott sei Dank, ganz gesund und munter und werden sich hoffentlich ferner so halten. –
Ich nehme mir jetzt immer eine bestimmte Beschäftigung vor, das ist das beßte, was man thun kann; heute habe ich nun angefangen, die Papiere von Vater durchzulesen über die Grüssausche Klosterauflösung; es ist auch gut für mich, daß ich nun mehr im Hause zu thun habe, da die Jungen bei mir sind, und auch || Marie nach Bremen muß. –
Nun, für heute, wünsche ich Dir und Deinen Lieben eine gute Nacht. Behaltet lieb
Euere
alte Mutter
Lotte.
a eingef.: vom 17ten