Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 13./14. Juni 1872
Potsdam d. 13/6 72.
Mein lieber Ernst!
Heute erhielt ich Deinen Brief und obgleich es schon spät ist, so drängt es mich doch, Dir noch ein paar Wortte zu schreiben, da ich heute von Bertha hörte: unsere alte Freundin Weiß sei gestorben. Wir wollen ihr die Ruhe gönnen, war es für sie bei ihrer großen Lebhaftigkeit doch schwer die körperlichen Leiden, die ja im hohen Alter unvermeidlich sind, zu ertragen; aber es schmerzt doch wenn doch immer mehr die Alten scheiden, || und es that mir so wohl mit ihr von meinen beiden Jungen zu sprechen, weil ich bei der Weiß die Ueberzeugung hatte, daß sie Euch recht erkannte. Nun wir wollen in Liebe ihrer gedenken. –
Heute war Bertha mit Herrmann Bleek hier, der Euch herzlich grüßt. Ich habe mich sehr gefreut, ihn zu sehen. –
Von Ems haben wir gute Nachrichten; Clara denkt künftigen Dinstag hier anzukommen. ||
Freitag Abend. Nun zur Beantwortung Deines lieben Briefes. Herzlich freue ich mich über Euer Wohlbefinden; auch darauf Euch zu sehn und besonders mal mit Deinen Kindern zu sein, es ist mir so wehmüthig, daß ich Lisbethchen noch nicht kenne. Nun so Gott will, daß ich noch lebe, so wird es ja auch geschehn; in der nächsten Zeit, besonders Anfangs July habe ich noch mancherlei zu ordnen; denke dann Wäsche und sonst häusliche Angelegenheiten abzumachen, und um die Mitte July zu Euch zu kommen. – ||
Nun Deine Geldangelegenheiten: da es noch nicht zu übersehen ist: ob es zweckmässig ist bei der Westphalia noch was anzulegen ist, so halt ich es für am beßten: man kauft jetzt ein sicheres Pappier, was man ja später wieder verkauffen kann. Das kannst Du nun halten, wie Du willst, ob Du es Dir in Jena kaufst, oder ob ich es Dir in Berlin besorgen soll? Im letzten Falle möchte ich es vor dem 1sten July wissen, da ich wahrscheinlich dann in Berlin werde sein müssen, um das || bei Herrn Baumann gekündigte Capital zu empfangen. Daß Du mir die Verlobungsanzeige von Martens geschickt, hat mich sehr amüsiert; möge es ihm gut gehn, bei allem eckigen Wesen, ist er doch im Grunde ein guter Kerl. –
Tante Bertha hat sich doch erholt, klagt aber noch sehr über Mattigkeit. Herrmann Bleek hat mir sehr gefallen; vielleicht kommt er künftigen Mittwoch noch mal her, Mittwoch Abend denkt er auf der Hamburgerbahn nach Holzstein zu den Verwandten seines Vaters zu gehn, von || dort denkt er nach Bremen zu gehn, wo er bei Frau von Post mit seiner Mutter zusammen trift. – – –
Grüß und küsse mir Deine liebe Frau und Kinder herzlich und behalte lieb
Deine
alte Mutter
Lotte.
Daß Du jetzt gute Einnahme hast, freut mich, ich denke immer: Du wirst Dir bei vorkommender Gelegenheit in oder vielmehr bei Jena ein Haus kaufen, das Du wieder verkaufen kannst, beim Wechsel des Wohnorts; ich möchte Euch, Lieben zu gerne in einer behaglichen Häuslichkeit wissen; freilich ist es wünschenswerth, daß Ihr in einer Stadt seid, wo Schulen sind.