Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 23. Juli 1871

Berlin 23/7 71.

Mein lieber Herzens Ernst!

Du hast mir heute eine rechte Sonntagsfreude durch Deinen Brief gemacht; sind doch meine Gedanken immer mit Dir beschäftigt, und besonders jetzt, wo ich Dich allein weiß. Wie sehr freue ich mich, daß Du Dich mit den Kindern wohl befindest, auch die Nachrichten von Agnes besser lauten; so wollen wir denn mit froher Zuversicht der Zukunft entgegen gehn, daß alles sich gut gestalten möge; || aber dazu auch unermüdet das thun, was das Rechte erfordert; ist nun einmal unser Leben hier auf Erden ein ewiger Kampf, nicht bloß nach Aussen, haben wir doch auch immer innerlich zu kämpfen und zu ringen. Gebe Gott nur, daß jeder von uns immer an seinem Theil das leistet, was in seinen Kräften steht. –

Auf Euer Kommen im Herbst freue ich mich sehr, richtet Euch nur ein so lange als möglich zu bleiben; Vater wird || das eine sehr große Freude sein; habe ich doch erst kürzlich gesehn, wie er glücklich war, Karls Kinder hier zu haben. Aber verschiebt nur Euer Kommen nicht länger als es unumgänglich nöthig ist; ich denke bei uns alten Leuten ist es doppelt gerathen nichts zu verschieben. Vaters Befinden ist ja im Ganzen so als man es bei dem hohen Alter nur erwartten kann; und doch kann ich es mir nicht verhehlen, daß er in manchen Stücken abgenommen hat, und viel wehmüthige Augenblicke sind. – ||

Hier ist von Verwandten und Bekannten fast alles verreist. – –

Du hast mir gar nicht geschrieben ob ich Dir Geld schicken soll; oder wenn Du an Agnes schicken mußt, könnte ich es ja von hier thun, dann mußt Du mir aber genau ihre Adresse schreiben. Wenn Du herkommst, müssen wir alles ordnen. Du bekommst noch viel Geld von mir. Die Kiste mit den Kisten, wovon Du im vorigen Brief schriebst, ist noch nicht angekommen. ||

Wir haben hier auch viel Gewitter und Regen mit Abwechselnd gute und böse Tage, doch in der letzten Zeit ist es besser: Obst giebt es hier dies Jahr fast gar nicht; auch kommt Gemüse etc alles später als andere Jahre. –

Ich muß oft daran denken, besonders bei den großen Ueberschwämmungen, wie auch im Jahre 1816 nach dem damaligen Krieg soll [!] große Wassernoth war und in Folge dessen hatten wir große Hungersnoth. ||

ich glaube aber bei dem jetzigen Verkehrsmitteln ist das wohl nicht mehr in dem Grade zu erwartten; denn wenn auch alles theuer ist, so sind wir doch wohl sicher nicht eine eigentliche Hungersnoth zu erleben. – Du hast mir nicht geschrieben ob Deine Schwägerin Clara bei den Kindern ist oder nur nach ihnen sieht; grüsse sie und gieb den Kindern einen Kuß von ihrer alten Großmutter. Dir herzlichen Gruß von Vater und Deiner Mutter

Lotte.

Brief Metadaten

ID
36414
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
23.07.1871
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
6
Umfang Blätter
3
Format
14,1 x 22,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 36414
Zitiervorlage
Haeckel, Charlotte an Haeckel, Ernst; Berlin; 23.07.1871; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_36414