Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, [Berlin], 20. – 25. März 1871

Montag, 20/3 71.

Mein lieber Herzens Ernst!

Meine Gedanken waren heute den ganzen Tag so viel mit Dir beschäftigt, daß es mir Bedürfniß ist, einen Brief an Dich anzufangen, obgleich ich nichts besonderes Dir mitzutheilen habe, zumal da ich erst gestern Abend einige Zeilen an Dich abgeschickt habe. Hoffentlich bekomme ich bald aus Jena die versprochene Nachricht von Dir. Ach, wenn Du doch bald die gewünschten Schwämme fändest, daß Du dann zu uns zurückkannst, mein Verlangen nach Dir ist sehr groß. – – ||

24/3 Von einem Tage zum andern hoffte ich den von Dir über Jena versprochenen ausführlicheren Bericht zu erhalten, aber bis jetzt vergebens, ich habe nun gestern Abend an Agnes deshalb geschrieben und hoffe bis morgen Antwort zu erhalten. Ich bitte Dich recht dringend: gieb uns nur oft Nachricht von Dir. –

Seit Du weg bist haben wir zwei mal illuminiert, erst beim Einzug des Kaisers und vorgestern zum Geburtstag. Wie dankbar froh müssen wir sein, wie sich alles gestaltet || hat, und doch ist ja noch so viel Schwüle in der Luft; zu grauenhaft müssen die Zustände in Paris sein; was soll noch daraus werden? wie wird nur das Volk aus allem Lug und Trug sich entwickeln? Das kommt davona daß kein tiefes Christenthum zur Grundlage ist, ohne sittlichen Boden gehen die Völker wie der einzelne Mensch zu Grunde. Unglaublich ist es, wie nach diesen schweren Schicksalsschlägen und Niederlagen das französische Volk noch nicht zur Einsicht und Demut kommt. ||

Vorgestern überraschten uns Herrmann und Heinerich, die keine Schule hatten wegen desb Königs Geburtstag, Da hatten die Eltern hergeschickt, damit sie die Ilumination sehn sollten, sie assen bei uns zu Mittag, und gingen dann zu Liskos mit denen die Stadtwanderung zu machen. –

Heute, wo ich grade beim Plätten beschäftigt war, bekam ich ungewöhnlich viel Besuch

1) Frau Weiß, die fragen kam ob ich Nachricht von meinem Sohn, dem Professor habe. ||

2) dann Bertha Piene, die alte Jacobi und Lucie. Von Bertha Pine hörte ich, daß Ernst Naumann seit 8 Tagen hier ist, er sähe sehr schlecht aus, und habe viel Schmerzen. – Von Bertha hörte ich dann auch, daß sie nächstens die Sobernheimer mit allen 4 Kindern hier erwartteten; auch sagte sie mir, daß die Nachricht aus Bonn gut sei, Auguste sei schon aufgestanden. –

25/3. Gegen Abend besuchte uns Ernst Naumann, er meint er habe viel erlebt; er hat in dem ganzen Krieg || eine Kompanie geführt. Jetzt hat er noch viel Schmerzen am Rücken und im Arm, die Aerzte wollen ihm die Hand noch mal opperieren. Er war sehr weich, und betrübt; der arme Mensch erlebt auch viel schweres. – Nun jeder hat ja wohl hier im Leben seinen Theil zu tragen. Nach schweren Kämpfen und Tagen kommt ja auch wieder Sonnenschein. Gott gebe uns nur Kraft, daß wir immer den rechten Kampf kämpfen. Heute Nachmittag erhielt ich von Agnes Deinen Reisebericht. || Du hast ja wieder viel Schönes gesehn. Gott gebe, daß Du ganz gesund und heiter zu uns heimkehrst. Gieb nur so oft Du kannst Nachricht von Deinem Ergehn, Agnes schreibt mir auch, wie sehr sie um Dich bange. Die arme Agnes hat aber auch, wie sie mir schreibt Sorge um Euer kleines Mädchen gehabt, die krank gewesen sei. Nach ihren Brief scheint es mir auf der Besserung zu sein, mir war es aber doch als müßte ich es Dir schreiben, || damit Du nicht länger weg bleibst, als nöthig ist. –

Vater hat heute weniger gehustet. Hast Du Zeitungen von Karl erhalten? er wollte Dir welche schicken; und bekommst Du auch unsere Briefe, dies ist der dritte, den ich Dir schreibe. –

Gott behüte Dich, und behalte lieb

Deine

Dich so herzlich

liebende Mutter

Lotte.

a eingef.: davon; b eingef.: des

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
25.03.1871
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36400
ID
36400