Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 19. März 1871

Berlin 19/3 71

Mein lieber Herzens Ernst!

Herzlichen Dank für Deinen lieben Brief aus Triest vom 13ten, den ich gestern früh erhielt, um so mehr Dank, da ich in Sorge um Dich war, da ich von Agnes gehört, daß Du in Wien krankgewesen seist, wovon uns Deina Brief aus Gratz nicht sagte.

Hoffentlich fühlst Du Dich wirklich wieder ganz frisch, und hälst Dich auch gesund. Solltest Du Dich aber nicht wohl fühlen, was Gott verhüten möge, dann bitte ich Dich dringend komm zu uns || zurück, daß Deine alte Mutter Dich pflegen kann. – Denselben Tag als Dein Brief aus Gratz ankam, habe ich Dir gleich nach Triest geschrieben, den hast Du wohl gar nicht bekommen. – Gestern waren Karl und Clara zum Geburtstag des Onkel Müllers Nachmittag hier, und kamen um 6 Uhr zu uns; ich theilte ihnen Deinen Brief mit, und habe mit Karl die Verabredung getroffen, daß er Dir Drucksachen schickt und auswählt, wie Dir es lieb sein würde damit wir es nicht doppelt schicken, undb er || wollte Dir gleich heute den Kladeradatzsch schicken; ich werde Dir dann schon von Zeit zu Zeit schreiben, wenn ich Dir auch aus meiner Einsamkeit meist nur sagen kann, daß ich Dich herzlich lieb habe; mein lieber, alter Junge. –

Karl und Clara grüssen Dich herzlich, sie hatten Herrmann und Anna mit, die sich noch etwas den Schmuck in Berlin ansehn sollten. Anna blieb die Nacht bei uns, und ist heute Nachmittag um 5 Uhr abgereist; sie grüßt auch schön. –

Mir ist es sehr lieb, daß Du ein paar Reisegefährten hast. – ||

Vorgestern soll beim Einzug des Kaisers c der Empfang sehr herzlich und freudig gewesen sein. Dein alter Vater wollte durchaus seinen König einziehen sehn, und es that mir leid, daß ich ihm dies weigern mußte, denn das ging doch nicht; damit er doch die festlich geschmückte Stadt sehn sollten [!] fuhr ich mit ihm Mittags, bis zum Rathhaus. – Ueberall waren Vorbereitungen zur Illumination, die dann auch noch allgemeiner und glänzender gewesen ist, als das vorige mal. || Ueber dem mittelsten Portal des Kriegsministerions [!] waren eroberte französische Waffen aufgebaut. –

Heute Mittag war Tante Bertha bei uns, mit ihrem Fuß geht es wohl etwas besser, aber doch noch immer kröpelich. Karl konnte gestern nur einen Augenblick bei uns sein, da er zu Bertha mußte, die einige geschäftliche Aufträge für ihn hatte. Clara blieb bis halb 9 Uhr bei uns und traf sich dann mit Karl auf dem Bahnhoff. Heute bekam Bertha, als sie bei uns war || eine Corespondenzkartte aus Bonn, darnach ist doch Tante Auguste auf der Besserung. Vater, der den Husten und Schnupfen nicht recht loos wird, grüßt Dich herzlich, und er freute sich immer von Dir zu hören. –

Wir haben hier wieder mehr Kälte gehabt, doch fängt es an hie und da ein bischen grün zu werden. Du wirst wohl mehr Frühling haben.

Gott gebe, daß Dir die Reise gut thut, Gottes schöne Natur möge Dich recht erquicken, und dann || wünsche ich, daß Du den wissenschaftlichen Zweck Deiner Reise erreichen mögst. Ich hoffe bald den versprochenen Bericht durch Deine Frau zu erhalten; mich verlangt sehr, was näheres zu hören über Dein Ergehn und Dein Leben.

Unseren Potsdammern geht es in Ganzen gut, gestern war nur der kleine Ernst und Max nicht ganz recht. – Vom kleinen Karl hatten sie einen lieben Brief, den sie aber nicht mit hatten. – Bertha las mir heute einen sehr lieben Brief von ihm vor, der sehr frisch ist, er fragt darin || auch theilnehmend nach Dir; und schreibt ihr daß er beim Examen eine deutsche Rede über Vaterlandsliebe halten würde. – Herrmann wird Anfang Aprill konfirmirt. Nun, mein lieber Herzens Ernst, sage ich Dir für heute Lebewohl. Gott behüte Dich und sei mit Dir auf allen Wegen. Behalte lieb

Deine

alte Mutter

Lotte.

a korr. aus: Deine; b eingef.: und; c gestr.: sehr

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
19.03.1871
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36399
ID
36399