Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 5. November 1868

Berlin d. 5ten

November 1868.

Mein lieber Ernst!

In Gedanken bin ich so viel bei Dir und Deinem Hause gewesen, daß es mir keine Ruhe läßt, ich muß Dich bitten, mir mal ausführlich zu schreiben, was Ihr, Lieben, macht; bist Du, mein lieber Herzens Sohn, jetzt ganz wohl; und hast keine Sorgen mehr um Frau und Kind? Wenn unsere kleine Frau erst wird länger aufsein || können, werden auch die Kräfte wiederkommen. Von Euerem kleinen Jungen mußt Du mir auch noch mehr sagen, denke doch, daß ich das liebe Kind noch lange nicht sehn werde. Und doch freue ich mich so innig mit Euch; Gott hat Euch einen reichen Schatz in dem Jungen gegeben, er lasse ihn ferner gedeihen; dann wird er ein Seegen für Euch beide sein. – ||

Seit vorigen Montag sind nun die 3 Jüngsten von Karl hier, Tante Bertha hat sie mitgebracht, Georg ist bei ihr, Ernst und Julius bei uns; es sind alle 3 prächtige Jungen, sehr verschieden; sie machen uns große Freude; und ich denke sie bleiben bei uns bis in Potsdam alles eingerichtet ist.

Karl denkt, daß seine Sachen am 23 von Landsberg gehn, und er selbst will dann den 24sten herkommen, seine || Schulkinder sollen den 21sten kommen. –

Den 25sten denkt Karl hier die Schleiermacherfeier mit zu machen. Du weißt wie ich Schleiermacher verehrt und geliebt habe, also kannst Du auch Dir denken wie ich jetzt alles mit durchlebe; und dabei immer den Wunsch habe; daß Du ihn näher möchtest kennen lernen, glaube mir: er ist so recht der Mann, den Du lieben wirst, wenn Du nur näher || auf seine Schriften eingehn würdest, bei so mancher Predigt, die ich von ihm lese, ist es mir, als sei sie für Dich geschrieben. Doch, wenn Du hier sein wirst, können wir uns hoffentlich mal gründlich aussprechen. Hat Agnes denn noch gar keine Aussicht zu den neuen Mädchen? mir ist es sehr leid, daß der Wechsel so bei ungünstiger Jahreszeit ist; sonst ist es mir lieb, Agnes wird dann erst || rechte Freude an ihr Hauswesen bekommen, wenn sie sich um alles bekümmern muß, das liegt ja nun einmal in der menschlichen Natur, daß uns das am liebsten wird, wofür wir Sorge und Mühe haben. –

Für Karl habe ich hier ein Kindermädchen zufällig gemiethet, die von Elise ausser der Zeit weggeschickt war, ich habe sie schon jetzt hier bei || den Kindern, und denke ich habe es für Karl gut getroffen. Mir wird es eine große Beruhigung sein, wenn ich erst weiß, daß Agnes damit in’s Reine ist. –

Vater, der sich sehr über die Kinder freut, ist zwar wohl, aber im Ganzen doch viel matter und schwächer; und am Traurigsten ist es, daß er selbst über Abnahme der Kräfte klagt, er freut sich sehr, daß Karl nach Potsdam kommt; || Dich dürfen wir also erst den 16ten December erwartten? wie schade, daß Agnes und der kleine Bengel Dich nicht begleitten können; und doch müssen wir uns darin finden, und wir wollen hoffen, daß Du zu Ostern mit Frau und Kind kommen kannst. Für heute: gute Nacht, grüsse Agnes und gieb dem Kleinen einen Kuß von

Deiner

alten Mutter

Lotte.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
05.11.1868
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36388
ID
36388