Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 18. März 1869

Berlin d. 18ten

März 1869.

Lieber Ernst!

Du hast mir große Freude gemacht durch Deinen lieben Brief, wie gut, daß Ihr drei Lieben, alle wohl seid. Gott behüte Euch ferner.

Bei uns geht es auch leidlich, Vater fängt an sich zu erholen, und was die Hauptsache ist, er ist zufrieden; auch die Nächte sind besser. Es war so schwer an den Tagen, wo er so über Abnahme der Kräfte klagte, und || so schwer die Altersschwäche ertrug. – Vater freut sich auf die neue Wohnung, und ich denke er wird dann auch wieder öfter im Tage etwas in der frischen Luft sein können, da er dann keine Treppe zu steigen hat. – Du fragst, lieber Ernst, ob Du zum Umzug kommen solltest, da würden wir wenig an einander haben; helfen kannst Du auch noch später mit Bücher und Bilder etc. ||

Uebrigens ist es ja auch noch ganz ungewiß wann wir ziehen; werde ich nicht noch unsere jetzige Wohnung loos, so wird der Umzug erst später nach den gewöhnlichen Ziehtagen vorgenommen; doch darüber läßt sich nichts sagen. – Viel Menschen besehen sich die Wohnung aber bis jetzt hat keiner gemiethet. Nun, das läßt sich nicht erzwingen; und wir müssen es abwartten. ||

Wir haben hier im Hause in diesen Tagen recht schweres erlebt: vorgestern früh sitze ich an meinem Nähtisch, da um halb sieben höre ich im Hofe einen furchtbaren Fall; und bald drauf kommt Friedrich leichenblaß herein mit den Wortten: bei Lückens ist das Mädchen beim Fensterwaschen herausgestürzt. Die lag wie todt auf dem Hofe, wurde nach dem Elisabethkrankenhaus gebracht, || sie ist schwer verletzt aber noch lebt sie. Du kannst denken wie schrecklich alles war; und heute stellt sich nun heraus, daß das Mädchen sich mit Willen herausgestürzt hat; ein 18 jähriges blühendes Mädchen. Ach, es ist so schrecklich, wie hier der Selbstmord Ueberhand nimmt; es ist als dächten die Menschen gar nicht an Gott und Ewigkeit. – ||

Seit 8 Tagen ist Deine Schwiegermutter hier bei Tante Gertrude, sie ist zur Confirmation von Clara Jacobi gekommen, heute war sie bei uns zu Mittag, und ist zum Abend zu Heinrich gegangen. Wilhelm Bleek beabsichtigt mit Frau und Kinder zu Besuch nach Bonn zu kommen. – Auch Gustchen denkt daran mit a Phillieb die Mutter zu besuchen, doch ist beides noch || ungewiß. – Tante Bertha ist heute nach Potsdam, wird aber heute Abend zurück kommen. –

Auf Dein Herkommen freue ich mich sehr. Grüsse Deine liebe Agnes, und Schwiegermutter und Clara herzlich von mir; und Deinem kleinen Liebling gieb einen Kuß von

Deiner

alten Mutter

Lotte.

a gestr.: Wi

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
18.03.1869
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36370
ID
36370