Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 2. Februar 1870
Berlin d. 2ten Februar
1870
Mein lieber, lieber Ernst!
Wenn ich nicht irre, so hast Du durch den Tod wieder einer Deiner Freunde unda Bekannten verlohren, und das thut mir so leid, daß ich Dir gleich schreiben mochte. Ich fand nämlich heute im Fremdenblatt folgenden Artickel: In Göttingen starb im Alter erst von 37 Jahren der ordentliche Professor der Zoologie und vergleichenden Anatomie Dr. Wilhelm Keferstein, ordentliches Mitglied der königlichen Societät der Wissenschaften, literarisch bekannt besonders durch seine Untersuchungen über niedere Seethiere und durch seine mit Professor Ehlers in Erlangen herausgegebenen Zoologischen Beiträge, gesammelt in Neapel und Messina 1861. ||
Beim Lesen dieser Anzeige zog es mich so zu Dir hin, daß ich Dir lieber gleich schreiben wollte, damit Du es nicht unerwarttet aus der Zeitung sehn solltest. Du hast schon so manchen schmerzlichen Verlust erlitten; da lernt man wohl mit Ergebung das tragen, was Gott schickt. Je mehr wir verlieren um so dankbarer erkennen wir, was uns Gutes im Leben bleibt; und da hat Gott Dir ein reiches Glück in Deinem Hause gegeben. Durch die Liebe Deiner Agnes, und Euch beiden || durch den köstlichen Besitz des Kindes. Gott erhalte Euch das liebe liebe Kind.
Gestern suchte ich mich gegen Abend auf einige Augenblicke hier frei zu machen, und ging um nach den kranken Schwestern zu sehn: Auguste fand ich doch wieder ausser Bett, es geht ihr etwas besser, sie wird aber wohl noch lange das Haus hüten müssen. –
Gertrude ist sehr schwach und leidet viel an Beklemmungen. Sie hat sich sehr über Agnes Brief gefreut, und bat mich Dir, liebe Agnes vorläufig ihren || Dank zu sagen. So bald sie könne, wolle sie Dir selbst schreiben.
Vorigen Sonntag kamen Karl, Clara, Anna, Marie, Heinnrich und Ernst her, und waren zu Mittag bei uns, worüber Vater große Freude hatte. Ernst war besonders sehr nett, zutuhlich, freundlich und frisch. Wenn Du, mein lieber Ernst, nicht schreiben kannst, dann erzeigt Agnes mir wohl die Liebe, und giebt mir Nachricht über Euer Befinden, wonach ich recht verlange. Seid alle drei aufs innigste gegrüßt von Euerer Mutter
Lotte.
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