Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 26. – 28. Mai 1870

Berlin 26/5 70.

Lieber Ernst!

Diesmal habe ich Dir lange nicht geschrieben; unterdessen hast Du von uns durch Deine Schwägerin Marie gehört; die so freundlich war auch für Euch eine Flasche Rum mitzunehmen; die hoffentlich besser angekommen ist, als die früheren. Herzlich habe ich mich gefreut, daß Ihr, Lieben, wohl seid, und Ihr viel Freude an Eurer [!] Walterchen habt. –

Gott gebe, daß er ferner so gedeihe. –

28/5. Deinen Brief, mein lieber Ernst, erhielt ich heute vor 8 Tagen, und || da Tante Bertha zum Sonntag uns mit allen Potsdammern gebeten hatte, so konnt ich die Einlage gleich an Karl geben. Ach, mein lieber Ernst, wie schmerzlich war es mir: Karl in der Kinderschaar zu missen, es ist doch zu betrübt, der arme arme Junge, wie viel Schweres wird er noch durch zumachen haben. Gott gebe, daß es zu seinem Heile ist, es mußte ja sein, aber recht schwer ist es sich darin zu finden, ihn so ganz || unter Fremden zu wissen. Karl hatte den Sonntag einen Brief von ihm und von dem Arzt, der ihna speciel besichtigteb. Karls Brief war sehr verworren, und machte daher sehr traurig. Der Brief des Arztes hat mir sehr wohlgethan, ohne viel Redensarten bekommt man Vertrauen, er sagt auch sie hätten Karl, der sich anschlösse, sehr lieb gewonnen.

Gestern Nachmittag waren Karl und Clara hier, in Geschäften wegen der Erbschaft von Marthin; sie kamen auch einen Augenblick zu uns, || Clara etwas früher, so daß ich mal ruhig ein Stündchen mit ihr sprechen konnte. Karl hatte auch Nachricht von dem alten Arzt der Anstalt; da mir Clara sagte, Karl würde Dir selbst heute ausführlich alles über den Enkel Karl mittheilen, so schreibe ich nicht mehr über dies traurige Thema. –

Tante Bertha ist heute früh mit ihrer Minna nach Thale abgereist, wo sie 4 bis 5 Tage bleiben wird, und dann nach Bonn geht; bis halben July denkt sie am Rhein || zu bleiben, und dann wieder herzukommen, im August will sie in Potsdam sein, um in der wichtigen Zeit, die Kinder zu beaufsichtigen. Gott gebe, daß alles gut geht. –

Recht sehr hat es mich gefreut, daß Du mit Gegenbauer einen größeren Spaziergang gemacht hast, ich hoffe noch immer, daß Ihr Euch überhaupt wieder mehr sehn werdet. – Weißt Du noch zu Pfingsten, wie Du beabsichtigtest, || mit Agnes eine Tour nach Thüringen machen? Dann nehmt Euch nur recht in Acht. –

Wenn Du noch eine Reise in den grösseren Ferien machst, so kommt wohl Agnes mit Walterchen zu uns, ich sehne mich recht nach beiden. Ach wenn Du nur nicht nach Italien gehn wolltest; die Zeitungen sind ja wieder immer voll von dem Gesindel was sich da umhertreibt, da bange ich || mich sehr, um Dich. –

Ganz so schlimm ist der Husten bei Vater und mir nicht mehr, aber immer noch hartnäckig. Unsere Agnes ist wohl sehr glücklich ihre Schwester Marie dort zu haben, mögen sie das Zusammensein ungetrübt geniessen; es wird ihnen alle und namentlich der lieben Mutter wohl thun sich miteinander aussprechen zu können über das traurige Ende der armen Bertha. –

Wie ist denn Walterchen mit den beiden Reimers? – ||

Bekommst Du denn nicht Sehnsucht die Menschenähnlichen Affen, die im Zoologischengarten und Aquarium sind, zu sehn; das wäre schön, wenn Du dazu herkämst, Du freutest Dich dann über die Affen, Vater und ich aber über unseren Jungen. Grüsse Agnes und das Huschkesche Haus herzlich von

Deiner

alte Mutter

Lotte.

a gestr.: sich; eingef.: ihn; b korr. aus: beide

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
28.05.1870
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36324
ID
36324