Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 12. September 1870

Berlin 12/9 70.

Mein lieber Ernst!

Hab herzlichen Dank für Deine lieben Zeilen, die ich gleich nach Empfang an Karl schickte, und hoffe ich, daß Du in Jena wirst Karls Brief gefunden haben, der wie er mir gestern bei seinem Hiersein sagte, Dir gleich dahin geschrieben hat. Sehr lieb ist es mir, daß Du Dich nun mal genau nach Karlchens Befinden wirst erkundigt haben, die letzten Briefe von ihm sind sehr gut. Auch freute ich || mich sehr aus Deinem Brief zu sehen, daß Du die Reise nach England aufgegeben hast, denn mir war es schon nicht ganz recht, daß Du sie unternommen hattest, da doch die Engländer nicht recht sich gegen uns Deutsche benehmen. Nach Empfang von Agnes Brief habe ich Dir gleich nach Bonn geschrieben, denn [!] Brief wirst Du nun bei Veränderung Deines Reiseplans nicht erhalten haben. Uebrigens habe ich den || versprochenen Reisebericht nicht erhalten, ich a will aber nicht länger darauf wartten mit Absendung dieser Zeilen, weil sie Dich sonst nicht mehr in Heidelberg treffen werden. Bekomme ich heute auch nichts aus Jena, so werde ich Agnes heute Abend schreiben, damit sie weiß, wie Deine Reise geändert ist; da vielleicht Dein Brief an sie verlohren ist. – Vater hält sich gesund, und ist jetzt eigentlich recht frisch, so daß Du Dich freuen wirst. – ||

In Potsdam geht es Gott sei Dank recht gut, künftigen Sonntag, den 18ten ihr Hochtzeitstag, soll getauft werden Vater und Du werden Gevatter stehn; wir denken hinzufahren. Wirst Du dann schon hier sein. – Auf Dein Kommen freue ich mich unaussprechlich; richte Dich nur so ein, daß Du so lange als möglich bleiben kannst. – So Gott will, wird dann auch unser äusseres Leben mehr vorgeschritten sein, || und Paris etc in unsern Händen, daß endlich das gräuliche Blutvergiessen aufhört. Ach, wie viele Famielien haben bittere Verluste erlitten. – Aller Lug und Trug wird in Frankreich noch fortgesetzt; und wie ärgere ich mich, daß der amerikanische Gesandte, diese Menschen, die jetzt nichts besser sind als die vorige Regierung, so schmeichelt. Was soll überhaupt aus dem sittenloosen übermüthigen Volk werden? – – ||

Heinnrich ist mit Frau und Kind in Heringsdorf. Tante Bertha ist in Potsdam. – –

Vater grüßt Dich aufs herzlichste, er freut sich sehr auf Dein Kommen. In b Bonn grüssec alle von uns. Gott behüte Dich, und komme bald gesund und frisch zu

Deiner

alten Mutter

Lotte

Willst Du in der untern Logierstube schlaffen oder oben in der kleinen?

a gestr.: hatte; b gestr.: Potsdam; c korr. aus: grüssen

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.09.1870
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 36314
ID
36314