Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 10. Dezember 1870

Berlin 10/12 70.

Lieber Ernst!

Heute wurde wohl meine Sehnsucht nach Nachricht von Euch, Lieben, gestillt; aber leider sehe ich, daß meine Sorge um Euch nicht vergebens war, wie leid thut es mir, daß Agnes unwohl war, hoffentlich ist siea nun wirklich wieder ganz gesund und erholt sich bald; sie soll nur ja sorgen, daß sie recht frisch ist zum Empfang des neuen Weltbürgers. Ich freue mich, daß Euer Walterchen munter ist, und auch, daß Deine liebe Schwiegermutter wieder gesund ist, das wird für Agnes eine große Beruhigung sein. Von Dir || sagst Du nichts, hoffentlich bist Du gesund? – –

Wir haben auch wieder Kummer um Bertha, die am vorigen Dinstag einen Fuß verrenkt oder verkippt hat; sie hat viel Schmerzen, und der Fuß ist sehr dick, gestern hat sie Blutegel gehabt, aber leider ist es noch nichts [!] besser. Natürlich thut es mir recht bange, daß ich sie nicht pflegen kann; ich gehe beim Spazierenfahren immer einen Augenblick herauf, um wenigstens sie zu sehn. Leider ist Quincke auch krank, seit gestern besucht Heinnrich sie. –

Hierbei fühle ich wieder || sehr die Unannehmlichkeit der Berliner Wege; und ich fürchte künftig, wird Bertha noch weiter ziehen, zu Ostern ist ihr die Wohnung gekündigt, und sie ist in Unterhandlungen um eine in der Möckernstraße. –

b Diese Unannehmlichkeiten und Schwierigkeiten verschwinden wohl ganz gegen den großen Schmerz, den der Krieg bringt; der ja täglich neue Opfer bringt. Fritz Keller ist auch geblieben, so hat Graf Keller zwei Söhne verlohren. – Bei all dem großen Elend, ekelt es einen wohl an, wie jetzt schon so viel kleinliche Zänkereien entstehen, und hoffentlich || wird sich später noch manches besser gestalten, als es jetzt scheint. – Unser ein kann ja die Sachen nicht übersehn; aber es erscheint wirklich als ein falsches Mitleid, daß Paris noch immer nicht bombardiert wird, das Franzosenvolk wird doch gewiß nicht eher zur Einsicht kommen bis sie zusammengeschossen sind; nur schrecklich, daß es uns auch so viel Leute kostet. Ein schweres Jahr 1870, geht nun bald zu Ende. Gebe Gott zum guten Schluß. –

Weihnachten ist so nahe, ich kann nichts besorgen, auch muß man jede unnöthige Ausgabe meiden. ||

Meine Potsdammer und Jenenser bekommen nur nach und nach Nützliche Sachen in der Wirthschaft; hoffentlich ist doch die Sendung von Gütersloh angekommen, und ich bitte mir zu schreiben was Ihr für Fracht und Steuer ausgelegt habt, damit ich es Euch berechnen kann.−

Bedarfst Du irgendwas von warmer Winterkleidung?, dann schreib es mir, daß ich Dir das Zeug kaufen kann. – Ich bitte dringend, daß Ihr aber auch nichts schickt. –

Wohl ist es mir wehmüthig, daß wir Dich nicht hier haben werden; || allein ich kann es doch nur billigen, daß Du dann grade Agnes nicht verlassen willst. Nun Gott gebe, daß alles recht gut geht.

In Potsdam ist alles wohl, vorigen Mittwoch kam Clara mit Anna zum Essen, letzterer war hier ein Zahn ausgezogen; sie fuhren schon um 3 Uhr weg, weil Max die Mutter nicht so lange entbehren kann. Karl war Donnerstag hier in Geschäften, aß bei uns. – –

Grüsse mir Agnes recht herzlich, hoffentlich ist sie wieder ganz wohl und klein Putchen gieb einen Kuß von

Deiner

alten Mutter Lotte. ||

Vater geht es im Ganzen gut, wenigstens dürffen wir ja nicht zu viel verlangen; mit unter fragt er wohl noch: warum Du nicht mit Frau und Kind zu Weihnachten kommen willst.

a eingef.: sie; b gestr.: Ostern

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
10.12.1870
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36305
ID
36305