Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 3. Dezember 1870

Berlin 3/12 70

Lieber Ernst!

Du hast mich recht erfreut durch die Nachricht, daß Ihr, meine drei Lieben, alle wohl seid. Gott erhalte Euch ferner so und gebe meiner Agnes eine glückliche Stunde. – Mit Vater geht es im Ganzen gut, nur ist er viel matt, und zu Anfang dieser Woche hatte er mal wieder solchen Anfall von Schwäche, der aber schneller vorüber ging als das vorige mal. – Deine Grüsse an Deine Schwiegermutter konnte ich nicht mehr bestellen, || da sie abgereist war, Clara machte mir aber die Freude und war vorigen Mittwoch bei uns zu Mittag; ich hatte sie, Frau Professor Weiß und Bertha eingeladen. Clara hat mir versprochen noch mal zu kommen, ich habe Clara recht lieb und freue mich darauf. – Hoffentlich ist die liebe Mutter glücklich heimgekommen, und es geht ihr besser als es hier soll gewesen sein. Clara meinte ja, es ginge Marien gut. –

Es ist mir sehr leid, daß ich die Mutter nur einmal gesehn habe; aber das ist ja nicht anders, || ich kann zu niemand gehn, muß mich also daran halten, wer zu mir kommen kann. Gestern Abend waren Julius, Heinnrich, Herr Justizrath Moll, unser Karl und Bertha hier wegen der Ausführung von Gertrudens Testament. Karl kam schon vormittag, und brachte zu Mittag seinen Freund Forkel, der zum Reichstag hier ist, mit, das war recht nett. Mich freut es immer, wenn Vater mal eine Veränderung dadurch hat, daß Einzelne uns besuchen. Karl sagte die Seinen in Potsdam seien alle wohl. – ||

Hier haben wir seit gestern viel Schnee und große Kälte, also tüchtiger Winter; Gott gebe nur, daß es für unsere armen Soldaten im Felde nicht so schlimm ist. Ach, wenn nur endlich das Blutvergiessen aufhörte, und doch kann man es nicht leugnen, daß jetzt die Sache ausgefochten werden muß, damit dann auch ein dauerhafter Frieden komme, man begreift nur nicht, wie noch das unsinnige französische Volk zur Vernunft kommen soll. – In den letzten Tagen sind ja wieder Siege gewesen, || aber dabei auch große Verluste. Gestern Abend wollte man wissen, daß wenn sich Paris bis heute früh nicht ergeben habe, das Bombardeman beginnen würde.

Bertha ist etwas in aufregung, sie sucht nach einer Wohnung; wahrscheinlich muß sie Ostern ausziehen. Bei Julius ist jetzt der kleine Küstriener, sie wollen sehn, ob er sich hier kräftigt, die Aerzte glauben, die Luft in Küsterin vertrage er nicht, das soll ein jämmerliches Kindchen sein. – ||

Mutter Minchen hat auch mehrere Tage wegen Grippe zu Bett gelegen, es soll ihr aber besser gehn. –

Nun rückt Weihnachten heran, ich kann aber nichts besorgen, und finde auch unsere Zeit ist zu ernst, und man hat so viel andere Ausgaben, da werden auch meine Kinder leer ausgehn, und nur einiges in die Wirthschaft erhalten, so wird in diesen Tagen meine erste Weihnachtssendung von Gütersloh in Jena eintreffen: 2 Schinken und 10 [Pfund]a Mettwurst; || bezahlt habe ich es schon, nur mußt Du mir die Fracht und Steuer, wenn Ihr die dort auch habt, in Rechnung bringen, daß ich es Euch wiedergebe. –

Dabei fällt mir ein, hast Du wohl das Document bekommen über das Darlehn, was Du zur Norddeutschen Anleihe gegeben hast? im Januar werden die ersten Zinsen ausgezahlt. – Hast Du nun auch das in Ordnung gebracht von der Spaarbüchse Deines Walters? Die Zeit mußt Du Dir nehmen, auch Dein || Vermögen orndlich zu verwalten. Geldgierig muß der Mensch nicht werden; aber alles zu Rathe halten, daß ein Nothpfennig für schwere Zeiten ist. –

Vater grüßt Euch herzlich. Gott sei mit Euch, und erhalte Euch gesund, behaltet lieb

Euere

alte Mutter Lotte.

Ich bitte Euch dringend, daß Ihr auch nichts zu Weihnachten schickt. – –

a im Original: Symbol für Pfund

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
03.12.1870
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36304
ID
36304