Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 31. Mai – 1. Juni 1865
Berlin den 31sten | Mai 1865.
Mein lieber Herzens Ernst!
Diesmal bekommst Du recht spät Antwort auf Deinen letzten Brief; die letzte Zeit war sehr unruhig, und theilweise auch sehr traurig; unruhig, da wir viel mit Tante Auguste zusammen waren; die nun Montaga Abend b von Potsdam abgereist istc; Theodor und Marie werden später reisen. Traurig, da ein schweres Geschick Lamperts betroffen hat: Clara || und Agnes sollten nach Bestimmung ihrer Eltern gestern abreisen; da bekam ich vorigen Freitag eine telegraphische Depesche, d daß die Mutter sehr krank sei, und nach den Töchtern verlange, ich solle sie daher Abends mit dem Schnellzug reisen lassen. Die armen Mädchen haben natürlich eine schreckliche Reise gehabt, haben die Mutter freilich noch am Leben gefunden, aber schon || sehr schwach; und so ist sie dann auch Sonntag früh gestorben. – Du kannst denken, lieber Ernst wie mich dieser Fall wieder tief betrübt hat. – –
Ernst Weiß ist zum Besuch bei seiner Tante hier, gestern waren beide zu Mittag bei uns, sie lassen Dich herzlich grüssen, und Frau Weiß wird Dir nächstens schreiben. Wir denken übermorgen nach Landsberg zu reisen und 14 Tage dort zu bleiben. || Wenn Vater die Reise gut bekommt so dachten wir in den ersten Tagen des July zu Dir zu kommen. So sehr ich mich auch freue, wieder mal bei Dir zu sein, so denke ich, ob unser Auffenthalt bei Dir, Dir doch in mancher Beziehung lästig ist, da doch auf Vater viel Rücksicht genommen werden muß. So war es Dir doch im vorigen Jahr unbequäm, daß Vater auf dem schwarzen Sopha war, und deshalb, nicht || gelüftet werden konnte, und Du es daher Nachts immer so heiß hattest. Ich dachte daher ob es nicht besser sei, wir schlieffen in der einfensterigen Stube, und Du in der zweifensterigen. Gestern las ich in der Zeitung, wie ein junger Mann von hier verunglückt ist beim Besteigen des Groß-Glockners, und hauptsächlich ist der Unfall dadurch so schlimm geworden, weil er ganz allein gewesen ist. Das ver||anlaßt mich denn wieder; Dich auf’s neue zu bitten, bei den Wanderungen und Reisen, die Du unternimmst, künftig vorsichtiger zu sein! Habe ich Dir schon geschrieben, daß Luise Sethe aus Amsterdam bei Tante Gertrude ist. –
Gestern bekam Vater einen Brief von Frau von Bassewitz, die schreibt auch daß Keller Director der Feuerversicherungsbank || geworden sei, und nach Gotha zöge. –
Donnerstag. Guten Morgen, lieber Ernst! Gestern waren wir bei Tante Bertha zu Mittag, wo auch Tante Adelheid mit 3 Töchtern, Theodor und Heinnrichs Braut waren. – Von da besorgt ich noch einiges, und besuchte dann Brauns, die Dich herzlich grüssen lassen, er hat sich sehr über Deinen Brief gefreut. Die Briefe, die Du mitschicktest, habe ich gleich alle besorgen lassen, von der Photographischen Gesellschaft ist bis jetzt nichts gekommen. || Wohl habe ich es mit Dir empfunden, wie schwer es Dir um’s Herz sein müsse, bis die Entscheidung über Dein Bleiben in Jena erfolgte und alles geordnet war; nun ist es ja gut, daß alles geordnet ist. Auch freut es mich, daß Du nette Zuhörer hast. Nun halte Dich gesund, mein lieber Ernst. Wenn wir noch zu Dir kommen, so freut sich darauf sehr
Deine
alte Mutter Lotte.
Frau von Schel hat uns besuchen wollen, leider sind wir nicht zu Hause gewesen. –
a gestr.: gestern; eingef.: Montag; b gestr.: wird; c gestr.: sein; eingef.: ist; d gestr.: daran; e gestr.: entschieden; eingef.: erfolgt