Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, [Berlin, 31. Mai 1855]
Mein lieber Herzens Ernst!
Tausend Dank für Deinen lieben Brief, der mir eine große Freude gemacht, und mir eine große Beruhigung ist, nun ich weiß, daß Du aus eigener Ueberzeugung Dein Studium in der begonnenen Art fortsetzt. Gott gebe Dir dazu seinen Seegen, und leite Dich ferner, wie es für dich am Beßten ist. In dem Gedanken, daß es für Dich gut ist, ertrage ich auch geduldig die Trennung von Dir, so schwer es mir auch oft wird; und wie [ich] grade in der letzten Zeit oft den Wunsch hatte mich mit Dir so recht nach Herzenslust aussprechen zu können. – ||
Am meisten bekümmert es mich, wie sich das Leben der beiden Schwestern gestalten wird; und besonders wie Bertha es durchführen wird; wie gerne möchte ich sie pflegen und ihr das Leben erheitern; da ihr Entschluß aber ist, allein zu leben, werde ich wenig für sie sein können; das betrübt mich sehr, und ich fühle tief, welch großer Riß durch Vaters Tod entstanden ist.
Heute früh ist Dein Vater nach Kiel gereist Adolph zu besuchen; er denkt heute über || 8 Tage wiederzukommen. Gestern Abend hatten wir Pritzel mit seiner Mutter, v. Richthofen und Lachmann und v. Wittchenstein zum Thee gebeten v. W. kam nicht, die andern waren recht vergnügt und lassen schön grüßen. Pritzel ist 14 Tage in Italien gewesen, und erzählte viel davon. Lachmann hat in den Pfingstferien eine Fußreise mit dem D. Passow in den Harz gemacht, und war erst gestern früh zurückgekommen. Passow ließ sich Deine || Adresse geben, weil er Dir was zu schicken habe, ich erbot mich, es zu besorgen, er sagte aber: er würde es thun, du bekämst es dann Porto frei, weil es von der Academie käme. –
Weissens sind nach Töplitz, wo sie baden wird; er hat sie nur hingebracht und wird in diesen Tagen zurückkommen. – Lachmann freute sich sehr, daß sein Freund B. Dir so gefiele. – ||
Nun, mein lieber Ernst, bitte ich Dich noch stelle mit Deinem Körper nie keine Versuche an, wodurch Du Deiner Gesundheit schadest. – – –
Großvater hat die uneingerahmten Kupferstiche seinen 5 Töchtern vermacht; bei denen, die auf mein Theil kamen, mußte ich bei jedem denken, ob es was für Dich sei, und so || habe ich sie denn auch alle in Deinen Schreibtisch gelegt. Auch hat Großvater jedem seiner Enkel eine Unvollständige Rente vermacht, also auch Dir. – Nun mein lieber Ernst, lebe recht wohl; sei Gutes Muths und denke fleissig an Deine
Mutter.