Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, [Ziegenrück, 4. Juli 1855]

Mein lieber Herzens Ernst!

Wie soll ich Dir danken, mein Herzens Sohn, für die Freude, die Du mir durch Deine Liebe an meinem Geburtstag gemacht hast. Schon die Tage vorher hatte ich immer gehofft, Sonntag von Dir einen Brief zu bekommen, und richtig kam er auch mit allen Liebesgaben zu Mittag an; und so warst Du auch sichtbar unter uns, denn daß Du es mit Geist und Herz immer bist versteht sich von selbst. Der kleine Karl freute sich sehr beim Auspacken, besonders über das Pferd, dem er seine ganze Zärtlichkeit zuwandte. Zu Mittag liessen wir uns den Wein vortrefflich schmecken, und tranken || auch aufa Dein Wohl. Daß ich Dich nicht bei mir haben konnte, wurde mir durch den Gedanken versüßt, daß Du eine hübsche kleine Reise machtest, und also hoffentlich auch recht vergnügt sein würdest. –

Noch besonders danke ich Dir für das Skizzenbuch, besonders viel Freude machen mir die Sachen darin, die ich mit Dir zusammen gesehn habe.

Wir leben hier traulich und nett, Karln scheint es sehr wohl zu thun, daß er mit dem Papa alles besprechen kann; sonst erwartten wir noch immer das kleine Wesen, bis jetzt ist es mir lieb die Verzögerung, weil unsre || kleine Frau viel Husten hatte, der nun doch etwas im Weichen ist . – Gott gebe, daß die gefürchtete Stunde gut vorübergehe. Der kleine Karl ist aller Liebling. –

Nun, mein lieber Ernst, muß ich Dir auch wohl sagen, wie wir den Sonntag verlebt haben: In mir war es ernst und still, der Tod meines theuren Vaters hat mir eine große Lücke gemacht; und doch habe ich Gott so ganz von Herzen gedankt für das viele Gute, das er mir im Leben gegeben, namentlich für den braven Mann, die lieben 3 Kinder und den Enkel; und da war es mir eine ganz besondere Erquickung, wie ich aus Deinem lieben Briefe sah, wie Du || nun mit der gewünschten Frische und mit Zuversicht und Muth, dem Leben entgegen gehst, und Deinem Berufe folgst; und dazu möge Gott Dir seinen Seegen geben. – Kampf und Mühe giebt es immer im Leben; aber halte nur immer den Blick und das Herz offen für alles Gute das Gott giebt; und vor allem laß Dich nicht irre machen in Deinem inneren, religiösen Leben. Wenn ich so sehe, wie Dich es jetzt schmerzlich berührt, daß so viele die Du achtest und liebst, die Religion leuchnen, dann mein lieber Ernst fällt es mir immer ein, wie ich Dir so oft gesagt habe, daß jeder in seinem Berufe, wie verschieden er auch sei, ein Verkündiger des Evangeliums sein soll. [Briefschluss fehlt]

a eingef.: auf

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
04.07.1855
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36150
ID
36150