Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 22. – 27. Mai 1853

Berlin 22/5a 53.

Mein lieber, lieber Ernst!

Eben aus der Kirche gekommen, muß ich ehe wir zum Großvater zum Essen gehn, Dir doch noch einen Sonntagsgruß schicken. Gestern und heute habe ich mich in Gedanken viel mit Dir beschäftigt; ich habe nämlich sehr den Wunsch, daß Du nächsten Winter hier in Berlin studieren möchtest, wenn die Kolegien für Dich hier gut sind; ach, wie schön wäre das! – – ||

27/5 53.b Für Deinen lieben Brief, mein Herzens Junge, meinen schönsten Dank. Wie leid thut es mir aber, daß Du Dich so einsam fühlst; ich denke es ist doch mit Deine Schuld, Du klagst keinen Freund zu haben, aber den kannst Du doch nicht so auf einmal bekommen, das kann sich doch erst durch nähere Bekanntschaft und Umgang bilden; Du mußt Dich nicht so absondern; anfangs ist doch Bertheau so freund- || lich gegen Dich gewesen; siehst Du Dich denn mit ihm nicht mehr? Siehe doch, daß Du die Spaziergänge mit andern machst; und daß Du an solchen Orten ißt, wo Du auf gute Gesellschaft triffst; das giebt dann Gelegenheit zum Gedankenaustausch und dadurch bildet sich ja Umgang und Freundschaft; Du mußt nur nicht so kleinmüthig sein, und fröhlich das Gute geniessen, was Gott Dir gegeben hat. ||

Auf Rehme freue ich mich recht, da wollen wir recht nett miteinander leben; ich habe schon dran gedacht ob ich nicht zum gemeinschaftlichen Lesen von den Schriften von Gotthilf was mitbrächte von Tante Bertha. Ueberlege Dir auch recht wo für Dich künftigen Winter die beßten Kolegien sein werden. Vater meint Du hättest gesagt, künftigen Winter wäre es gut für Dich in Würzburg, aber kannst Du was Du zu hören hast, nicht eben so gut hier hören, || ich finde es gar zu nett wenn Du den Winter mit uns leben könntest, dann feierten wir Vaters Geburtstag, Weihnachten, Deinen Geburtstag etc mit einander. Ich würde schon Sorgen, daß Du möglichst ungenirt leben könntest, und in Deinen Studien nicht gestört würdest. – Künftigen Sommer gingst Du dann nach Heidelberg oder Bonn. Nun wir können es ja mit einander berathen. – ||

Aus Ziegenrück haben wir gute Nachricht. Tante Bertha grüßt Dich vielmals, ich fand sie eben sehr angegriffen, ich denke das macht der Abschied von Tante Bleek. –

Großvater ist gesund. Wenn es erst Obst giebt, mußt Du es recht geniessen, das ist gewiß in dortiger Gegend recht schön. – Hier waren bei der Ausstellung die schönsten Erdbeeren, Kirschen u. Weintrauben etc. Nun lebe wohl, mein Herzens Junge. –

Gott sei mit Dir. Behalte lieb Deine alte

Mutter.

a korr. aus: 4; b irrtüml.: 27/4 52.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
27.05.1853
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 36104
ID
36104