Haeckel, Charlotte; Haeckel, Carl Gottlob

Von Charlotte Haeckel, Berlin, 22. Mai 1857, mit Beischrift von Carl Gottlob Haeckel

Berlin 22ster Mai

Lieber Ernst!

Den Brief, den Du uns Anfangs dieser Woche durch einen Freunda schicken wolltest, haben wir nochb nicht erhalten. Hierbei erhältst du einen von L. Mulder aus Breda, der bei Tante Gertrude eingelegt war. –

Gestern brachte ein Mann für Dich ein Diplom der Gesellschaft der Naturforschenden Freundec, wornach sie Dich zu ihrem Ehrenmitglied erwählt haben und Dir das Diplom darüber einhändigen, ich habe dasselbe zu Deinem Doctordiplom gelegt. Mir hat das Spaß gemacht, auch Vater freute sich darüber; ich brauche es Dir wohl nicht zu schicken. – ||

Gestern Mittag war F. Professor Weiß bei uns. Sie läßt Dich schön grüssen und wünscht Dir Glück dazu. –

Theodor und Hedwig sind vorgestern abgereist nach Bonn. In Posen ist bei Jacobis ein kleines Mädchen angekommen. Wir denken heute über 8 Tage nach Freienwalde zu reisen, und das Pfingstfest dort zuzubringen. – Die Nachrichten aus Freienwalde lauten gut. – Zu Pfingsten machst Du auch wohl einen kleinen || Ausflug. Da sei recht heiter und fröhlich, aber nicht tollkühn, und wenn es so heiß ist, wie jetzt, so trinke ja nicht kalt, wenn du erhitzt bist. In diesen Tagen ist es darin einem Schiffer schlimm gegangen, der geht vom Schiff in die Bierkneipe und trinkt gleich, und der Schlag trifft ihn, daß er ganz gelähmt nach Betanien hat müssen gebracht werden.

Leb wohl lieber Ernst behalte lieb

Deine Mutter.d

[Beischrift von Carl Gottlob Haeckel]

Da hast Du wieder einen Beweis, daß Deine praktisch medicinischen Ansichten noch nicht recht reif sind. Verachte doch die Erfahrungen nicht so sehr. Der alte Schwarz, den || ich vor 8 Tagen auf meiner Rükreise von Eisenach (in Bergwerkssachen) sprach, äußerte: Vor 50 Jahren hätte man alles kuriren wollen und alles kuriren zu können geglaubt. Jetzt sei man in das andre Extrem gerathen und verachte alle Praxis und schätze blos die Wißenschaft und doch würde durch die Praxis Tausenden geholfen und Tausenden die Schmerzen gelindert. Auch Quinke meinte: Du solltest Dich vor dem Hochmuth der Wißenschaft in Acht nehmen. Hoffentlich kommst Du mit der Zeit in das rechte Gleis. Wir habene jetzt hier seit dem 15ten große Hitze und Dürre. Es ist als lebten wir in den Hundstagen. Dabei warf die schönste Blüthe der Fruchtbäume. Es steht nun so ziemlich festg, daß ich in der 2ten Hälfte des Juli mit der Mutter nach Schlesien und dem Gebirge reise und da in Warmbrunn jetzt Wannenbäder zu haben sind, so wird Mutter wohl zur Stärkung ihres Armes einige Wochen baden. Anfang September wollen wir wieder hier sein. Sonst geht es recht still bei uns zu. Wir besuchen die Weiss zuweilen, auch Bertha fleißig. Früh gehe ich jetzt mit Kühne im Thiergarten spatzieren, wo es sehr schön ist. Nun schreibe uns doch etwas ausführlicher über Wien. Hast Du auch Quinkes Empfehlung an Brücke abgegeben? Mit Tante Bertha geht es ziemlich gut. Ich arbeite an meiner Lebensbeschreibung und habe zu meiner Aufklärung Droysen, Beitzke und Hausser über die Freiheitskriege nachgelesen. Gestern (Himmelfahrtstag) waren wir früh bei Büchsel Er kann recht gut jeden Sonntag 3 Predigten halten, h wenn sie alle so wäßrig sind, wie die gestrige. Doch war die Kirche stark besucht. Wenn der Sommer da ist, werden wir wohl einige kleine Ausflüge machen. Heinrich Sethe in Heidelberg schreibt voll Entzüken über die dortige Gegend. Für heute genug.

Dein Alter

Hkl

a von der Hand Carl Gottlob Haeckels eingef.: durch einen Freund; b von der Hand Carl Gottlob Haeckels eingef.: noch; c von der Hand Carl Gottlob Haeckels korr. aus: Naturfreunde; d Schlussformel auf S. 4 unten: Leb wohl … Deine Mutter.; e eingef.: haben; f eingef.: war; g eingef.: fest; h gestr.: denn

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
22.05.1857
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36084
ID
36084