Haeckel, Carl Gottlob

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 14. Februar 1867

Berlin 14 Febr.

Mein lieber Ernst!

Diese Zeilen sollst Du zu Deinem Geburtstag erhalten, den ich um so lieber feiere als ich Dich nun mit Deiner Agnes wieder versorgt weis. Du hast nun eine Lebensgefährtin wieder gefunden, worüber ich mich ungemein freue. Denn was das heißt: eine solche zu besitzen, habe ich durch Deine Mutter erfahren, die mir schon 46 Jahre zur Seite steht und mir Freud und Leid tragen hilft. Wie öde und leer würde mir das Alter sein, wenn ich sie nicht hätte und wie ruhig sehe ich nun meinem Hinscheiden entgegen! Ich lebe hier Tag für Tag in einer fast nie gestörten Ordnung fort. Die Regelmäßigkeit meiner Studien verkürzt mir die Zeit ungemein und eben so die Regelmäßigkeit meiner Art zu leben. Früh gegen 8 Uhr wird aufgestanden, nachdem ich den ersten Theil der Nacht bis 3 Uhr häufig sehr unruhig geschlafen. Um 9 Uhr mache ich einen 5/ 4stündigen Spatziergang durch den Thiergarten bis zum Kroll’schen Etablissement und so quer durch denselben zurük. Abends gehe ich nach 6 Uhr von hier bis zum Brandenburger Thor und sodann durch die Linden bis zum Zeughause, wo ich wieder umkehre und in 5/4 Stunden wieder zu Hause bin. Wir haben hier außerordentlich abwechselndes Wetter, bald Schnee bald Regen. Ist das Wetter Abends gar zu schlecht, so bleibe ich zu Hause und promenire 5/4 Stunden in den Zimmern auf und ab.

Mein Hauptstudium ist jetzt die Geschichte des großen Kurfürsten von Stenzel, a der die Geschichte des preußischen Staats geschrieben hat und von Droysen „Der Staat des großen Kurfürsten“, ein merkwürdiger Mann, welcher als der Gründer des preußischen Staats anzusehn ist. Er trat eben seine Regierung an, als das Mittelalter durch den 30 jährigen Krieg zu Ende gieng, er machte sich in dem Gebiet des Deutschen Ordens zum Souverain und erhielt durch den westphälischen Frieden eine Anzahl säkularisirter Fürstenthümer in der Mitte Deutschlands. Minden, Ravensberg, die Grafschaft Mark und Cleveb war schon früher an Brandenburg gefallen und erhielt später Jülich noch dazu. Das Mittelalter hatte durch den 30 jährigen Krieg geendet. Die Erfindung des Pulvers und der Buchdrukerkunst kehrte die Welt um. || An die Stelle der bewaffneten Ritter traten Söldnerheere, die bloß von dem, welcher sie bezahlte, abhängig waren. Diese erforderten Geld, es kam nun darauf an Geld zu schaffen. Dieses erforderte regelmäßigen Akerbau und städtische Industrie. Die Akcise wurde in den Städten eingeführt. Die Landstände traten in den Hintergrund, der Fürst mußte Geld haben, ohne sie von den Ständen bewilligt zu erhalten. So wurde der große Kurfürst ein ordentlicher Despot. Aber er hatte Sinn für alles. Er schuf sich eine Flotte und schikte sie an die afrikanische Küste, um dort Kolonien anzulegen. Er begünstigte im Innern Wißenschaften und Künste, kurz wir sehen schon zu seiner Zeit das Gebäude zum preußischen Staat aufgeführt, was nun durch die nachfolgenden Fürsten immer mehr vollendet worden ist. Er ist der Begründer des preußischen Staats; instinktmäßig hat er die Größe dieses Staats voraus geahnet und er würde sich wundern, wenn er ihn jetzt in der neuesten Zeit so vollendet sähe.

– Du lebst in Deinen Studien und in Ahndungen andrer Art und bist innerlich dadurch ergötzt. Gott helfe Dir weiter darinn. Die Stufenfolge wird hier auf Erden kein Ende haben und in andern Welten wird der Geist weiter fortfahren, wo er hier aufgehört hat. Für jetzt müßen wir uns damit begnügen zu ahnden, wie es wohl dort aussehen möchte. 34 Jahr sind es nun schon her, daß Du auf dieser Erde weilst, jetzt nun wieder mit einer lieben Gefährtin. Nun zu lebt beide wohl und glüklich. Die Prüfungen, welche Euch zugedacht sein möchten, werdet Ihr vereint leichter tragen. A Dieu, Ihr lieben Kinder

Euer Euch liebender

Alter.

a gestr.: und; b eingef.: und Cleve

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
14.02.1867
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 36059
ID
36059