Haeckel, Carl Gottlob

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 17. Mai 1861

17 Mai 61.

Mein lieber Ernst!

Wir haben uns sehr gefreut, daß es Dir in Jena so wohl gefällt und daß Du nun so recht ruhig arbeiten kannst, auch daß Dich die schöne Natur so entzükt. Dazu kommt, daß Du ein Paar Freunde hast, mit denen Du nähern Umgang pflegen kannst. Lebe nur so fort, da wirst Du schon ein gut Stük vorwärts kommen. Im übrigen müßen wir, was Deine künftige Lage betrifft, das Weitere erwarten. Nach einigen sehr warmen Tagen haben wir hier wieder rauheres regnigtes Wetter, was wohl für die Saaten sehr gut ist. Heute erwarten wir unsre Freyenwalder, auf die wir uns sehr freuen. Wir werden ina diesen Tagen hoffentlich recht fröhlich im Familienkreise beisammen sein, nur Minchen und Anna werden uns fehlen und Tante Bertha wird Ende dieses Monats mit Anna Bleek nach Bonn reisen. Heinrich geht bald nach den Feiertagen nach Creuznach und Helene soll im Juli nach Pyrmont gehen, Mutter und ich nach Teplitz und Schlesien, so wird sich alles vertheilen. Die Mitglieder der 2ten Kammer fangen jetzt an auszureißen. Die Gutsbesitzer verlangen nach der Wirthschaft auf ihren Gütern. Es wird künftige Woche in der 2ten Kammer noch einen harten Strauß über die Militärkosten geben, die das Land in der verlangten Weise in dieser Höhe gar nicht gewähren kann. Oesterreich ist in schweren Nöthen. Die Ungarn wollen in eine Central Verfaßung nicht hinein und Deack hat erklärt, sie könnten sich keine Verfaßung aufbürden laßen, die sie in alle deutsche Bundes Händel verflechte. Deutschland gehe sie nichts an. Das ist rundb und klar ausgesprochen; und doch will sich Oesterreich immer als Stütze Deutschlands geriren. Die Volkszeitung meint: Oesterreich mit seiner liberalen Verfassung werde uns bald in Deutschland überflügeln. Allerdings werden wir uns zusammen nehmen müßen. Es ist in diesen Tagen eine sehr gute Schrift: „Was uns noch retten kann.“ Berlin bei Guttentag herausgekommen, die ganz meine Ueberzeugungen ausspricht. Eine constitutionelle Verfassung ist leichter gegeben, als durchgeführt. Dazu gehört große Empfänglichkeit des Volks und ein sehr intelligenter liberaler Mittelstand. Daß dieser in den deutsch-slawischen Provinzen Österreichs jetzt schon hinreichend durchgebildet sei, daran zweifele ich und dieser ist es, der sich wenn die Stunde der Noth vorüber ist und die Regierungen wieder um sich greifen wollen, an der eroberten Freiheit festhalten muß. Ob dieses in Orten auch, wo ein sehr opulenter, angesehner Adel ist, der Fall sein wird, wollen wir erst sehn. Uerberdem leben die Oesterreichischen Länder mehr im Genuß, als in Arbeit und Anstrengung (wie dieses bei uns der Fall ist) und der Katholicismus hat dort auch noch große Macht, wenn gleich die gebildeten Klaßen nicht mehr so stark orthodox sind. Wir in Preußen bedürfen schwerer Prüfungen, ehe wir wesentlich vorwärts kommen. Diese müßen wir erst abwarten, bis dahin werden wir langsam durchschleppen.

Am Sonntag hatten wir ein kleines Diner: die beiden Kühne (der hiesige und der Erfurter), Parthey, Sydow, Ammon, Zur Megede, Barth. Vier hatten abgesagt: v. Tolk, Pinder, Georg Reimer und Burkard; Julius. Wir schwatzten recht gemüthlich von 3-6 Uhr; politica, auch von Dir, sie frugen: wie es Dir gienge? || Am Dienstag waren Vohwinkels bei uns und das neue Brautpaar (Marie Naumann). Er ist noch jung und ungemein in Marie verliebt. Er hat mir recht wohl gefallen, er ist Geschäftsführer der Dümlerschen Buchhandlung und nicht ohne literarische Bildung. Sein Bruder Tempeltey ist dramatischer Schriftsteller und hat das Stük: die Heimath geschrieben, welches vor kurzem aufgeführt ist und ernsteren Naturen sehr wohl gefallen hat. Die Weiss habe ich gestern verfehlt, sie war bei der verw. Gymnasialc Director Krause, die wahrscheinlich sterben wird. – Auf meinen Promenaden bin ich allerlei Straßen durchstrichen, in welchen gebaut wird. Mehrere größere Gärten (z. B. der Brunnengarten) sind getheilt und zerstükelt, die Häusermaße nimmt immer mehr zu und man [muss] sich auf die freien Plätze und Promenaden flüchten. Ich gehe mit Mutter bei erträglichem Wetter täglich ein Stündchen am Kanal und im Thiergarten spatzieren. Weiter wüßte ich heute Nichts.

Dein Alter Hkl

a eingef.: in; b korr. aus: aus; c eingef.: Gymnasial

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
17.05.1861
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 36039
ID
36039