Haeckel, Carl Gottlob; Haeckel, Charlotte

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 16. Februar 1863, mit Nachschrift Charlotte Haeckels und einem Schreiben von W. Weber, Berlin, 11. Februar 1863

16 II. 63.

Mein lieber Ernst! Wir leben jetzt eigentlich sehr unruhig, es drängen sich so viele Bittereien der Verwandten, die Reise nach Potsdam übermorgen, wo wir wohl Theodor finden werden und die Reise nach Freyenwalde zum Freitag zusammen. Ich suche dabei möglichst in meinem täglichen Lebenslauf wie es für einen so alten Mann Bedürfniß ist, zu halten; lese theils politische theils geschichtliche theils biblische Sachen. Die letztren besonders deshalb, um mir das Entstehen und die Form, in welche das Christenthum von uns gebracht worden, immer mehr zu erklären und Formen und Kern immer mehr zu scheiden. Die Betrachtungen über die Welt im Allgemeinen und die Bedeutung dieses Lebens ergeben sich natürlich aus dem Lebensmoment, im welchen ich stehe und aus meinem alten eingebornen Triebe mich darüber aufzuklären. Die Gewißheit der göttlichen Weltregierung bei aller Freiheit, die dem Menschen gegeben ist, wird mir immer stärker und so sehe ich auch den jetzigen politischen Wirren und ihrer Lösung mit Ruhe entgegen. Die Welt wird nach einem göttlichen Plan regirt. Dieselbe Weisheit, welche Dua in der Natur findest, finde ich in der Geschichte. Meine b geschichtliche Lektüre in den letzten Wochen hat mir z. B. gezeigt, wie sehr die europäische Menschheit in den letzten 100 Jahren vorgeschritten ist. Wie viel menschlicher und gesitteter sie geworden. Wie abgeschmakt stellt sich hirbei die Lehre des Absolutismus heraus, daß die Fürsten mit den Völkern machen können, was sie wollen. Allerdings, so lange die Völker noch in politischer Bewußtlosigkeit und Kindheit sich befinden. Deshalb hat auch der Absolutismus in den letzten 200 Jahren seine Berechtigung gehabt und sie sind unter demselben durch große Fürsten vorgeschritten. Jetzt aber ist die Sache eine andre. Daß nun die Völker in dem ersten Stadio ihrer Freiheit mitunter unnatürliche Sprünge machen und sich praktisch unbeholfen benehmen, finde ich natürlich, sie müßen die Freiheit erst allmählich gebrauchen lernen, England ist darin am meisten vor, weil es die meisten Erfahrungen durchgemacht hat. Wir werden es wohl auch allmählich lernen durch große Krisen, die uns bevorstehen und welche wir durchzumachen haben.

Wir haben jetzt 8 Tage schönes Wetter gehabt, das und die längeren Tage haben mich recht erquikt. Die Beine wollen nicht mehr so fort wie früher, am Tage viel schwächer als gegen Abend, wo ich noch ganz gut marschire. Mit der Mutter plaudere ich viel über unsre Kinder, die unsre Freude sind. Abends nach 9 Uhr mache ich mit der Mutter ein Spielchen, Patience und Triktrak. Im Januar Heft der Reinischen Jahrbücher findest Du einen Aufsatz über Gneisenau, der ist von mir, die 2te Hälfte deßelben c folgt im Febr. Heft. Grüße und küße Anna aufs Herzlichste von Deinem Alten

Hkl. ||

[Nachschrift Charlotte Haeckels]

Den Kaffebrenner habe ich Dir noch nicht geschickt, weil ich dachte: Du solltest mal sehn ob Du nicht eben so gut einen in Jena bekommen kannst oder durch den Kaufmann kannst besorgen lassen; da das besondre Schicken doch umständlich wegen der Verpackung ist. Den ich Dir geschenkt, habe ich nun für mich genommen, und bin sehr damit zufrieden, er kostet 2 Th 10 sg. Als Du hier warst meintest Du, Du wolltest || lieber einen kleineren zu ½ th. haben; aber ich denke d es ist doch besser Du nimmst einen zu 1 th. Du mußt ja sonst so oft brennen. – –

Deine Ph., lieber Ernst, habe ich am Dönhofsplatz bestellt, als ich sie wollte holen lassen und 1 ½ Th mitschickte, haben sie gesagt das 2te D. koste auch 2 Th, aber 3 D. nur 1 Th., nun schickt ich noch mal hin, und ließ sagen, Du habest mir nur 1 ½ Th dafür gegeben, und wenn sie es dafür nicht lassen wollten, so sollten sie die Ph. behalten bis Du hin kämst. Darauf hatten sie gesagt, wenn Du nicht mehr Geld hier || gelassen, so wollten sie sie für 1 Th 20 sg lassen aber dann bekämen sie für das 3te D. 1Th 10 sg. Was soll geschehen? ich denke man läßt sie ruhig dort liegen, denn das ist doch nur Prellerei.e

[W. Weber an Ernst Haeckel, Berlin, 11. Februar 1863]

Berlin, d. 11. Febr. 1863

Leider kann ich Ihnen nur noch die Bände 6. 7. 8. 9. der Zeitschrift von Kölliker und Siebold senden. Bd. 5, der mir von anderweitig angeboten war, war unterdeß verkauft. Den Betrag von 14 Rst. bitte ich mir gelegentlich durch Ihren Herrn Vater zugehen zu lassen.

Sollte ich später noch andere Bände senden können, so würde ich nicht ermangeln, eine Anzeige Butstr. 26 abzugeben

Giebel Odontographie und Leben Säugethiere könnte ich Ihnen antiquarisch beschaffen, doch würde einige Zeit dazu gehören.

Mit Hochachtung

ganz ergebenst

W. Weber

D. Bücher gingen an Hrn. Dr. Frommann über Leipzig

a eingef.: Du; b gestr.: Lek; c gestr.: Feb; d gestr.: das; e weiter am unteren Rand v. S. 4: gelassen, so wollten...doch nur Prellerei;

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
16.02.1863
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 36037
ID
36037