Haeckel, Carl Gottlob

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Warmbrunn, 19. August 1864

Warmbrunn | 19 August. | 64

Mein lieber Ernst!

Wenn ich auch noch nicht so schreibfertig bin, wie sonst, so kann ich es doch nicht laßen, Dir einige Worte mitzutheilen. In Leipzig kamen wir Dienstag gegen halb 2 Uhr an. Eine Stunde später bestiegen wir einen Salonwagen, wo fast nur Damen saßen. Ich erinnere mich gar nicht, je eine so langweilige Reise per Dampfwagen gemacht zu haben als diese. Ich liebe das langsame Reisen überhaupt nicht. Hier fuhren wir nicht schneller als wie mit einem langsamen Güterzug, gleich als Ochsen vorgespannt wären. Gegen 6 Uhr kamen wir in Dresden an, giengen alsbald nach dem schlesischen Bahnhof. Hier promenirte ich eine Stunde vor dem Bahnhof und der Umgegend. ¾ auf 8 Uhr wurde abgefahren und ¾ auf 11 Uhr waren wir in Görlitz, wo wir uns sogleich ein gutes Quartier aufsuchten und Bestellung machten, um am andern Morgen mit Lohnkutsche bis Warmbrunn fahren zu können. Dieses geschah Mittwoch um halb 9 Uhr mit gutem Wagen und Pferden. Wir sahen strichweise schon sehr schöne Arbeiten an der künftigen a Eisenbahn und kamen so nach Gotschdorf 1 Meile vor Warmbrunn. Dieses Dorf hat mir außerordentlich wohl gefallen, es trägt ganz den Stempel der Solidität und man sieht dem Dorfe nicht an, das es 30-40 sehr schwere Jahre überstanden hat, wo die Leinwandweberei, die jetzt wieder sehr im Gange ist, ganz darnieder lag. Es gehört viel Ausdauer und Entsagung dazu eine solche Zeit zu überstehen. Fast jedes Haus hat seinen Garten mit Obstbäumen und der Boden wird auf das äußerste kultivirt. Abends gegen 7 Uhr trafen wir hier in Warmbrunn ein. In Gotschdorf mußten wir schon unter einer Brüke durch, über welche die Eisenbahn führt. Die Eisenbahnb Bauten in diesem Dorf waren sehr intereßant.

Hier in Warmbrunn fanden wir Fritz Lampert vor, der uns in das sehr einfache und anständige Landhaus führte, wo wir uns vorläufig mit einem Zimmer begnügen. Die Betten und Möbeln sind gut. Gestern Nachmittag besuchte uns Adolph Schubert nebst Familie. Er ist ganz unverändert. || Heute Vormittag habe ich in unserm Hause das es das erste Wärme Bad genommen. Ich fürchtete mich sehr vor meinem Schwindel. Man pflegt hier gegen den Andrang des Bluts nach dem Kopf c naße kalte Umschläge anzuwenden, die man eine Minute etwa über den Kopf schlägt und so ein Paar Mahl fortfährt. Ich habe das Bad gut überstanden und nur diesen Nachmittag eine dumpfe Schwere im Kopfe gefühlt. Ich habe nur ¼ Stunde in der Wanne geseßen bei 26 Grad Reaumur, wobei ich im Bade ziemlich geklappert habe. So werde ich nun allmählich vorschreiten, morgen 20 Minuten und allmählich bis zu einer halben Stunde. Das Wetter ist auf der Reise erträglich gewesen, von Görlitz aus einen starken Regenschauer, der sich aber später in heiteres Wetter verwandelte. Einen Bade Arzt muß man hier annehmen, ich habe also den 2ten angenommen, einen gewißen Lux der zugleich starker Botaniker ist. Dieser scheint ein ganz vernünftiger Mann zu sein und hat mich mit den nöthigen diätetischen Regeln versehn. Gestern und Vorgestern haben wir hier die großen Promenaden, die das Gebirge zur Aussicht haben, besucht. Gestern war es kälter, heute sehr hübsch warm und heiter bei halb bewölkten Himmel. Wir haben das Gebirge in seiner ganzen Pracht gesehn und heute überd ½ Stunde in einem Kaffeehäuschen gesessen, wo wir uns über die schöne Beleuchtung der herrlichen Berge gar nicht satt sehen konnten. Wir haben einen großen Genuß gehabt. Man sieht hier das eigentliche Riesengebirge in einer Länge von 5-6 Meilen. Der hohe Gebirgszug geht ununterbrochen, er fängt bei der Tafelfichte an und endet bei Libau in der Nähe von Landeshut. Dieser Gebirgszug mit einigen Kegeln und Schluchten und Wäldern ist ganz etwas Prächtiges. Er gehört mit zu den schönsten in Deutschland, wenn er auch den ewigen Schnee nicht erreicht. Man wird gar nicht müde diesen Zug anzusehen und wir haben uns heute förmlich losreißen müßen, um wieder nach Hause zu kommen.

a gestr.: Chaussee; b eingef.: bahn; c gestr.: kalte Ko; d eingef.: über;

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
19.08.1864
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 36034
ID
36034