Haeckel, Carl Gottlob

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 1. September 1868

Dienstag 1 Sptmb. | 68.

Mein lieber Ernst!

Deine Agnes hat uns Deine Briefe aus München mitgetheilt, wo es Dir sehr wohl gegangen ist und wo Du sehr gut aufgenommen worden bist. Das freut mich und daß Du Deinen lieben Freund, den ich aufs herzlichste grüße, immer zur Seite hast. Nach so vielen angestrengten Arbeiten wird Dir diese Reise sehr wohl thun. Mutter und ich sind nun schon über 14 Tage hier und haben uns wieder eingerichtet. Aber es fängt nun an kühler zu werden und die Tage werden kürzer und die Abende länger. Auch haben wir mitunter Regen gehabt, so daß es einem im häuslichen Zimmer sehr wohl ist. Tante Berta und Tante Gertrude sind nun wieder zurük und wir sehen uns sehr fleißig. Zum 14ten September ist Heinrichs Hochzeit. Da wird auch Carl herkommen. Ich habe mich seit meiner Rükkehr viel mit Ritters Europa beschäftigt und dabei auch Deine Reiseroute verfolgt. Dabei liegt immer die Landcharte zur Hand, da bin ich Dir von Meran über Tyrol nach dem Gardasee gefolgt. Sehr intereßirt hat mich die Beschreibung des Ober- und Unterengadin, aus welchem sich schon der Inn windet. Jetzt bin ich in Spanien, welches doch ein ganz eigenthümliches Land ist, und wenn ich mit Ritters Europa fertig bin, werde ich zu Mommsens römischer Geschichte übergehn, um dieses merkwürdige Land und Volk zu studiren und dann zu den ersten römischena Kaisern überzuschreiten, die dann wieder den christlichen Kaisern den Weg bahnen und zu Carl dem Großen hinüberführen. So lebe ich in meinen Studien ganz glüklich und sehe den kürzern Tagen und längern Abenden sehr gern entgegen, die ich dann im letzten Viertel mit unsrer Mutter von 9-10 mit dem Triktrakspiel zubringe. Zum Octob. hoffen wir auf gute Nachricht aus Jena. Agnes schreibt, daß ihr die Bürde doch manchmal zu schwer zu werden anfängt, von der sie zum Octob. entbunden zu werden hofft. Gott gebe seinen Segen. – Es war doch in den Monaten Juli und August hier in Berlin wie ausgestorben. Jetzt fängt es an, wieder lebendig zu werden. Ich gehe täglich 2 Mahl spatzieren, früh um 9 Uhr, nachdem ich das Frühstük zu mir genommen und wo ich etwa 1 ¼ Stunde weg bleibe und Abends nach 6 Uhr bis zum Zoologischen Garten, von wo ich dann durch den Thiergarten zurükkehre, und 1½-2 Stunden ausbleibe, indem ich im Thiergarten Laternen-Erleuchtung finde. Nun geht es wieder recht an die Studien. Für heute genug. Dein dich liebender Vater

H.

a eingef.: römischen

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
01.09.1868
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 36016
ID
36016