Haeckel, Carl Gottlob; Haeckel, Charlotte

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 29. Februar 1856, mit Beischrift von Charlotte Haeckel

Berlin 29 Febr. 56.

Mein lieber Ernst!

Ich muß Dir noch einmal nach Würzburg schreiben, wahrscheinlich zum letzten Mahl. Dein letzter Brief vom [Datum nicht eingetragen] hat uns sehr erfreut, besonders, daß Du nun siehst, wie vortheilhaft es Dir gewesen ist, auf das medicinische Studium näher einzugehn. Die wohlthätigen Folgen werden nicht ausbleiben. Wir freuen uns ungemein, Dich nun bald bei uns zu haben. Deine Gemächer, die hinten heraus nach dem Garten ganz zum Studiren geeignet sind, so wie unser freundliches Quartier, das nur etwa 200 Schritt vom Anhaltschen Bahnhofe entfernt ist, werden Dir schon gefallen. An die weiten Entfernungen haben wir uns gewöhnt; so wie Du gehst, bist Du spätestens in 25 Minuten in dem Universitätsgebäude. An interessantem Umgang wird es Dir nicht fehlen. Langenbeck ist wiederhergestellt, und wird im Sommer sein Klinikum abhalten. Jetzt ist Ida Pfeiffer hier, die bekannte Reisende, sie logirt bei Weiss, reist in diesen Tagen wieder ab, gedenkt aber in 6 Wochen wieder zu kommen. Sie hat mir von den Sunda Inseln erzählt, die an Naturpracht alles übertreffen. Sie meinte: Du müßtest zuerst nach Java gehen, a und dort malaisch lernen, was nicht schwer sei. Der Doctor medicinae wird Dir die Reise ungemein erleichtern und Dir wesentlich durchhelfen. Ich höre jetzt Erdkunde bei Ritter, die mich ungemein intereßirt, außerdem religiöse Vorträge und mache auch hin und wieder intereßante Bekanntschaften. Berlin bleibt doch für Männer ein intereßanter Ort. Nun haben wir auch die Freude, unsern Carl und die Seinigen in der Nähe zu haben. In 4 Stunden fährt er für 1 rh. hieher. Vorigen Sonntag war er einige Tage hier, was ihn sehr erquikte. Er hat sich doch durch seine Versetzung wesentlich verbeßert, hat gar nicht mehr so viel zu thun, mehr Umgang mit Menschen und ein beßeres Klima. Die Reisen hieher frischen ihn ungemein auf. Wir holten ihm am Montag Mittag einige Freunde zusammen Richter, Lisco, Aegidi’s Schwester etc. Seinen Freund Aegidi kann er jährlich mehrere Monate sehen, was ihn sehr erfreut. – Nun mein lieber Ernst, Gott gebe seinen Segen zur Fortsetzung Deiner Studien. Du wirst wahrscheinlich nach Jahresfrist Dein Militärjahr als Arzt durchmachen, d. i. ein Jahr lang kranke Soldaten kuriren helfen müßen, das wird Dich nicht wesentlich stören. – Daß Deine letzte große Reise und die Studien und Arbeiten dieses Winters so wesentlich auf Deine innre Ausbildung gewirkt haben, ist ja vortrefflich. Wir werden nun nicht mehr den alten Sonderling wieder finden, sondern einen Menschen, der sich ins Leben zu finden weis. Die Art, wie Du in eine literarische Fehde verwikelt worden bist, ist ja ganz amüsant. Die medicinische Fakultät soll darauf angetragen haben, eine besondre Lehrstelle für die Wißenschaften, die Virchow donirt, zu gründen (ich glaube pathologische Anatomie) und dabei Virchow im Auge haben; ob es aber durchgehn wird? ist noch die Frage und ob sie so gestellt werden wird, daß Virchow sie annehmbar fände? ist b auch noch zweifelhaft. Kurz es läßt sich darüber noch nichts sagen. – Am 12ten oder 13ten erwarten wir Dich.

Dein Dich innigst liebender Alter Hkl

[Beischrift von Charlotte Haeckel]

Mein lieber Herzens Sohn!

Wie sehr freue ich mich, daß nun der letzte Brief nach Würzburg geht, und ich nun bald nach Herzens Lust mit Dir plaudern kann. Diese Zeilen sollen Dir nur kurz sagen, daß Du nicht traurig sein sollst, wenn Du beim Wiedersehn Deine Alte um 20 bis 30 Jahr älter findest, als voriges Jahr, das macht ja nichts, behalten wir uns doch lieb.

Dann wollte ich Dich bitten kannst Du für uns wohl 12 Flaschen guten Würzburger Wein bestellen, aber eine gute Sorte, der Weinhändler kann sie ja verpacken und wenn es jetzt keine passende Zeit zum Versenden ist, so kann er sie ja später schicken. Du kannst Dir auch wohl || die Adresse geben lassen, wenn man später bestellen will, aber einige Flaschen guter Sorte hätte ich gerne zum Sommer, bei Deinem Doktorschmauß darf der Würzburger nicht fehlen. – –

Gestern bekam Häckel einen Brief von Wieck aus Leipzig, worin er ihm den erfolgten Tod von seiner Tochter Marie anzeigt. Marie war längere Zeit so krank, daß der Tod wohl für sie eine Erlösung genannt werden kann. Die alten Wiecks erleben aber doch viel schweres. – –

Tante Bertha geht es wohl etwas besser, allein sie liegt doch noch immer. –||

Nun leb wohl, mein lieber Ernst! Gott gebe uns ein frohes Wiedersehn.

Behalte lieb

Deine

Mutter

a gestr.: die; b gestr.: zu

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
29.02.1856
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 35966
ID
35966