Haeckel, Carl Gottlob; Haeckel, Charlotte

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, [Berlin], 30. April 1864, mit Nachschrift Charlotte Haeckels

30 Aprill 64.

Wir haben also heute schon den letzten Aprill und morgen den 1 Mai, in welchem Monat wir uns wieder zu sehen hoffen. Noch bis heute haben wir tolles Aprill Wetter gehabt, a den ganzen Aprill fast immer kalten Wind. Doch fängt der Thiergarten, in welchem ich hir oben gewesen, zu grünen an. Das Laub dringtb mit Macht hervor. Wir denken schon den 12ten Mai abzureisen und einige Tage bei Karo in Merseburg zuzubringen. – Mimi mit den Kindern ist schon über 8 Tage zurük. Im Anfang kam es uns recht leer hier vor, nun sind wir wieder an die größere Einsamkeit gewöhnt, Verwandten und Freunde besuchen uns zuweilen. Vor einigen Tagen waren wir Abends bei der Weiss, wo wir auch Bardt, Beirichs und den Superintendenten Weiss (den Neveu) aus Skeuditz nebst Frau trafen. Wir hatten einen recht hübschen Abend. c Hier hat die Einnahme der Düppler Schanzen alles beschäftigt. Nicht allein daß sich unsre Artillerie und Ingenieure vortrefflich gezeigt haben, daß unser Geschütz es zu großer Vollkommenheit gebracht hat, so haben sich auch unsre jungen Truppen ganz vortrefflich geschlagen und alle vernünftigen Militärs haben sich überzeugt, daß die 2 jährige Dienstzeit vollkommen genügt, vorausgesetzt, daß ein tüchtiger Stamm Feldwebel und Unterofficire in der Armee festgehalten wird. Bei dem Sturm auf die Schanzen sind auch viel Berliner gewesen, worauf sich die Stadt Berlin sehr viel zu gute thut. Man hält es nicht für möglich, daß Schleswig Holstein den Dänen gelaßen wird, so schlimm der Wille auch oben sein mag. Auch die Militärs sind gegen unsre Diplomatie und wollen nicht umsonst gefochten haben. d Unser König ist auch in den Herzogthümern sehr gut empfangen worden, was ihm sehr gefallen hat. Das Beste muß die Unvernunft der Dänen thun, welche ihre Piraterie nicht aufgeben wollen.

Ich habe in den letzten 8 Tagen sehr viel in Bardts Reise nach Afrika gelesen, um den Süden kennen zu lernen. Die Neger sind eigentlich ein gutartiges Volk und in ihrer fruchtbaren Heimath keineswegs ohne Fleiß und Industrie. Der Muhamedanismus hat wenigstens das Heidenthum zurükgedrängt. Aber er begünstigt den || Despotismus und so ist auch Sklaverei und Menschenraub im Süden an der Tagesordnung, die Sklaverei bildet einen Hauptlandesartikel. Wie weit ist doch Europa voraus! Die aus dem Christenthum hervorgegangene Civilisation ist doch ein wahrer Segen für die Menschheit. Sie muß sich von Europa aus allmählich über die ganze Erde verbreiten. Diese Segnungen des Christenthums gehn im Stillen immer mehr ihren Gang vorwärts, sie zeigen sich auch im Kriege, der jetzt auch in den neuesten Tagen mit großer Menschlichkeit (in der Behandlung der Gefangenen) geführt wird, wenn auch der Verlust des Menschenlebens durch die Waffen unzertrennlich vom Kriege bleibt. Ich habe die Reise Bardts durch die Wüste in Afrika verfolgt. Diese ist doch ein eignes Territorium auf der Erde und man fragt sich: warum Gott auch solche Wüste geschaffen hat? Sie muß aber doch mit der Entwikelung des Planeten unzertrennlich gewesen sein und es muß auch ein schlechtes Stük Erde auf diesem Planeten geben. So ist alles auf dieser Erde gemischt und unvollkommen und wir können nur die wunderbare Entwikelung des Planeten und seiner Bewohner verfolgen. Während so die Forschungen ihren Gang fortgehen, hören auch die geistigen Kämpfe darin nicht auf. Schleiden soll eine Schrift über den Materialismus geschrieben haben, worin er diesem sehr zu Leibe geht und ihm das deme Menschen innewohnende sittliche Princip als von der Materie völlig unabhängig gegenüberstellt. Die Schrift soll bereits vergriffen sein und ich werde sie erst in Jena lesen. Dieses sittliche Princip ist das Ewige in uns, was wir mit in jene Welt hinüber nehmen, und was sich nun einmal nicht wegräsonnirn läßt. Mit ihm hängt genau zusammen der Glaube an die Unsterblichkeit und an eine weitere Fortentwikelung des Geistes in jener Welt. Wie sollte ich alter Mann, der ich nun bald von hinnen muß, auch mit Ruhe hier fortexistiren können, wenn ich nicht jenen Glauben hätte, den meine Lebenserfahrungen befestigt und meine Studien bekräftigt haben. Wie sollten wir ohne diesen Glauben den Verlust unsrer Anna ertragen können? Und doch bin ich im Ganzen über den Verlust beruhigt, wenn auch der Schmerz darüber, daß sie von uns geschieden ist, in einzelnen Stunden immer wieder mit Heftigkeit auftaucht. Zu dieser Beruhigung müßen wir gelangen, sonst könnten wir dieses Leben || nicht ertragen. Das ist mir in den letzten Monaten wieder recht klar geworden. Der Ekel an diesem Leben hatte mich in den ersten Wochen nach Annas Tode so erfaßt, daß er unmöglich sein Bestehn haben kann, wenn man auf dieser Erde noch irgend einen Beruf erfüllen soll. Man muß sich mit dieser Welt bis auf einen gewißen Grad versöhnen, aber die oberflächliche Existenz, wie man sie in den meisten Menschen wenigstens in einem Theil ihres Erdenlebens vorfindet, muß aufhören, sie ist mit dem Glauben an die Ewigkeit unverträglich und der innre tiefere Mensch, der Glaube, muß diese irdischen Nebel zerstreuen.

Wir haben Deinen letzten Brief, den wir vor 4- f 6 Tagen erhielten, bald an Carl und Mutter Minchen geschikt. Nach diesem hast Du wieder viel schlechtes Wetter gehabt und nur in den letzten Tagen, als Du den Delphin gefangen, ist es beßer geworden. Es hat auch sein Gutes, daß Du durch das viele schlechte Wetter immer wieder auf Dein Innres und auf die Nothwendigkeit, Dir eine neue, wenn auch freudenlosere Existenz zu verschaffen, zurükgewiesen worden bist. Die bloße Zerstreuung kann nicht helfen, neben der Arbeit muß auch der innre aber ruhigere Schmerz nebenher gehen, bis ihn die Zeit so weit gelindert hat, daß doch eine erträglichere Existenz möglich geworden ist. Von der Zeit mußt Du das Weitere erwarten, Du wirst in Jena noch schwere Tage durchzumachen haben, aber ich hoffe immer noch, daß Du Jena als den Ort Deines frühern Glüks noch recht lieb gewinnen wirstg und daß Du noch gern dort leben wirst. Der Fortschritt in Deinen Studien und die Erweiterung Deiner Anschauungen durch Reisen ist damit sehr verträglich. Das Tropenklima aber halte ich für Deinen nordischen Körper für unerträglich, so wie denn auch die meisten Europäer darin zu Grunde gehn. Davon überzeugt mich auch meine neuste Lektüre von Bahrdt in Afrika, deßen Begleiter alle dem Klima erlegen sind und er selbst ist bei fast fortwährendem Fieber dem Tode nur wie durch ein Wunder entgangen und nach Europa zurükgekehrt. Für heute genug mein lieber Ernst. Ob Du noch ein Schreiben von hier in Villa Franca erhalten wirst, ist ungewiß.

Dein Dich liebender Vater

Haekel.||

[Nachschrift Charlotte Haeckels]

Den 30ten. Tante Bertha, die heute nach Potsdam ist und gestern hier war, läßt Dich herzlich grüßen wie auch alle Freunde und Bekannte; F. Weiß hat jetzt Besuch vom Pastor aus Sceuditz und dessen Frau; morgen werden sie zu Mittag bei uns sein. – Heute ist es nun schon 9 Jahr, daß mein Vater starb; wie viel Ernstes haben wir seit dem schon erlebt; Gott gebe uns allen nur Kraft, daß wir einen guten Kampf kämpfen, und immer treu unsere Pflicht erfüllen. – Ich sehne mich sehr nach Dir, und ich glaube es wird mir sehr wohl thun, wenn ich mit Dir werde leben können. Komm nur recht gesund zurück. Wir wollen treulich Dir helfen tragen. –

Deine alte Mutter.

a gestr.: kalt; b korr. aus: bringt; c gestr.: treffen; d gestr.: der; e eingef.: dem; f eingef.: 4-; g eingef.: wirst

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
30.04.1864
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35945
ID
35945