Heinrich Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 22. Juni 1884
Potsdam, den 22. Juni 1884.
Lieber Onkel!
Noch immer habe ich Dir nicht meinen herzlichsten Dank gesagt, für die freundliche Verschaffung der Stelle bei Prof. Hertwig. Wenn es ja auch etwas gewagt ist, so plötzlich auf ein ganz neues Feld der Thätigkeit überzugehen, und ich amich dabei eines gewissen Bangens nicht erwehren kann, ob ich denn wohl für die neue Stellung auch recht passen werde, so soll doch nun mit aller Energie auf das neue Ziel losgegangen werden – vielleicht, daß bes mir wie so Manchem vor mir doch glückt. Du warst so freundlich, daran zu denken, mir sogar in Deinem Hause eine Wohnung zu geben; derartiges hatte| ich nicht erwartet, und finde es, gleich euch, für das Beste, daß ihr diese Absicht habt fallen lassen; denn es kommen dadurch nur zu leicht Unzuträglichkeiten vor und es wird sich ja leicht in Jena für billigen Preis eine passende Wohnung finden.
Dein Anerbieten, mir den Gegenbaur zu schicken, nehme ich mit bestem Dank an; wenn Du Professor Hertwig (an den ich auch geschrieben habe) gelegentlich siehst, fragst Du ihn vielleicht, was er sonst noch für den Anfang für besonders wünschenswerth hält, ob er vielleicht irgend einen Leitfaden für Präparirübungen besonders bevorzugt. Hast Du etwa eine Ahnung, wie groß das Nebeneinkommen sein wird, ob| es wenigstens mit dem Gehalt zusammen genügen wird, um nicht allzu kläglich ohne Unterstützung vom Vater auszukommen? Das würde mir sehr wesentlich sein; denn Vater hat für die nächste Zeit gerade genug für die anderen Geschwister zu sorgen.
Hier geht es im Allgemeinen nach Wunsch. Großmutter ist so munter, wie man es in ihrem Alter nur erwarten kann, besonders der Husten ist ganz vorüber; sie freut sich übrigens sehr, daß ich nach Jena gehe. Anna geht es im Ganzen auch gut. Eine Untersuchung der Brust hat ergeben, daß der chronische entzündliche Proceß in der Lunge jedenfalls etwas zurückgegangen ist, daß aber immer noch ein Heerd vorhanden ist. Eine Untersuchung des Sputums wird herausstellen| ob sich im Befunde der Tuberkelbacillen etwas geändert hat. Sie hustet wenig, muß sich aber besonders beim Gehen sehr in Acht nehmen, da die Entbindung nicht ohne bleibende Folgen für den Sexualapparat geblieben ist. Tante Bertha scheint die Kur bei dem schlechten Wetter nicht so gut zu thun, wie sie wohl gewünscht und erwartet hatte; doch kommt ja oft die Hauptwirkung noch nachträglich. –
Im Wannsee geht’s jetzt gut; Minna ist außer Bett; es war eine sehr schwere Zangengeburt, der eine leichte Parametritis im Wochenbett folgte; sie sind sehr glücklich über ihren Jungen.
Nun, lieber Onkel, grüße all die Deinen auf’s Herzlichste
von Deinem dankbaren Neffen
Heinrich
a eingefügt: mich; b eingefügt: es