Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Ziegenrück, 28. März 1854

Ziegenrück 28sten März

1854.

Lieber alter Junge!

Grolle Deinem Bruder nicht, wenn er wieder lange nicht geschrieben; grolle höchstens dem Aktenmenschen, dem die Laune zum Briefschreiben gebricht. Aber ich muß doch endlich das sechswöchige Stillschweigen brechen, um meine neue Petition anzubringen, die dahin geht: daß Du uns in den jetzt wohl schon eingetretenen Ferien auf einige Zeit in unsrer Waldschlucht aufsuchen sollst.

Motive:

1.) der ältere Wille,

2.) das Beste Deines Gehirns, das nach ein semestrigen Brummen sich nicht im

Mikroskopiren allein, sondern auch in der schönen Natur u. frischen Bergluft erholen soll.

3.) Die Sehnsucht Deines Pathens nach Dir – oder besser gesagt: Deine Sehnsucht nach dem

Pathen.

4.) Die Gelegenheit der Zeit – Anfang des Frühlings, Osterfest pp – Ich schlage Dir nehmlich

vor zum Fest zu kommen und bis Ende April hier zu bleiben und glaube, | nach dem jetzigen

rauhen Wetter Dir dann ein wirkliches Frühlingswetter zusichern zu können.

Ferner verspreche ich Dir, wenn Du kommst:

1.) anderweite gute Verköstigung, in specie Festkuchen,

2.) eine nette Gastfrau,

3.) ein prächtiges Pathchen,

4.) einen sich sehr mit Dir freuenden Bruder.

u.s.w.

Kurz – laß Dir‘s in Allem Ernst gesagt sein, scheue den Geldpunkt nicht über den Dich der Ältern Beutel hinweghebt, und komme zu den einsamen Ziegenrückern, die Dich sehnlich erwarten daß Du dann frischer ins neue Semester hineingehst, als wenn Du dort hocken bleibst dafür garantire ich Dir, und das darfst Du nicht gering anschlagen. Du brauchst ja nicht auf lange zu kommen, komm aber doch.

Nun von uns – über Berlin wirst Du gehört haben, daß sich meine Mimmi am Fastnachtsabend in Folge einer Erkältung recht schlecht befand. Ein rascher Aderlaß legte der entstandenen Lungenentzündung bald das Handwerk. || Seitdem geht es wieder gut und Mutter u. Kind sind vor 14 Tagen, als wir einige warme Tage hatten, schon öfters ausgewesen. Jetzt ist‘s freilich wieder unfreundlich und noch am Sonntag, Montag vor 8 Tagen schneite es ganz ordentlich. Ich hatte mir schon vorher eine derbe Erkältung geholt, die auch nur recht quälend mich durch die Aktenstöße schleppen läßt, da ich viel Kopfweh dabei habe. Aber ich denke der morgende Neumond wird baldige Genesung bringen. Die Sitzung in voriger Woche war mir wirklich eine rechte Qual. –

Viel geht mir jetzt die Politik im Kopfe herum, wie Du Dir denken kannst, ich spüre sehr wenig Lust mich für die Russen herumzuschlagen, und doch – wie leicht kann‘s kommen sub hodierno regiminis. Papa brummt gehörig über die Wirthschaft. Gott besser‘s und lenke die unvernünftigen Geister in die bessre Bahn. Kannst Du dort des Preußischen Wochenblattes habhaft werden, so || b lies doch den Artikel „unsre Stellung“ vom 18 März, der klar zeigt, wie man von der zuletzt eingeschlagenen Richtung, die den Intentionen der Hollweg‘schen Partei entsprach, wieder abgewichen ist.

Zu Hause erfreue ich mich mit Mimmi sehr unsres fortdauernd gedeihenden Jungen. Er ist schon so kräftig, daß er, wenn man ihn auf den Bauch legt, den Kopf hoch in die Höhe c reckt und auf die Ärmen sich stützt, auch fortzubewegen sich bemüht – der erste Ansatz zum Kriechen. Du mußt diese Experimente nothwendig mitmachen. Komme also. Für Deinen letzten so herzlichen Brief noch meinen besondern Dank. Ade, altes liebes Haus, antworte bald auf den Reiseplan

Deinem treuen

Bruder

Karl.

a gestr.: glaube; b gestr.: so; c gestr.: se

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
28.03.1854
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35426
ID
35426