Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Ziegenrück, 8. – 12. Februar 1854

Ziegenrück 8/2 54.

Lieber alter Junge.

Dein Bruder muß sich doch wohl mal wieder zusammenrappeln und Dir aus seinen Pathmos berichten. Du willst von Mimmi viel geschrieben haben. Da hast Du aber einen schlechten Begriff von der Beschäftigung einer Mutter in einem Haushalt mit einem kleinen Wesen. Ich kann‘s ihr bezeugen, daß sie, seit Mutter weg ist, alle Hände voll zu thun hat und sehr froh ist, wenn sie nur Junge und Küche besorgt hat, zumal wir seit 2. Febr. ein neues Mädchen haben. Bedenke nur was das Stillen allein schon für Zeit kostet; alle 3 Stunden kommt er und braucht dann eine Stunde zum Trinken – so bei Tage. Bei Nacht schläft aber „Tütschmichel“, wie ich ihn gewöhnlich titulire, prächtig, gewöhnlich von Abends 6 oder 7. bis um 2. oder 3 Uhr des Nachts. Mammachen macht ihm jetzt Kleidchen und am nächsten Wochengeburtstage wo er schon 10 Wochen alt ist, wird er wohl das erste anbekommen. Heut ist er 9 Wochen alt und heißt seit a 3 Wochen schon „Carl Christian Heinrich“ wohl || zu merken! –

den 12 Februar.

Das große Ereigniß des ersten Kleidchens Anziehensb ist heute schon eingetreten. Der Junge ist wie immer, allerliebst, und bei Tage schon sehr viel munter. Seit 8 Tagen etwa tutscht er ungemein viel auf seinem Fäustchen herum; bald möchte man denken, es könnten die heranwachsenden Zähne sein, die ihm dazu Anlaß geben. Das wäre aber doch sehr früh. Wenn er im Kleidchen auf dem Arm sitzt, die eine Achsel durch die Hand unterstützt, sieht er zu possirlich aus. Er sieht sich dann immer ganz andächtig in der Stube um, weil er dann natürlich einen ganz andern Sehkreis hat als wenn er liegt. Leider ist es sehr fraglich, ob Mimmi noch lange wird fortnähren können. Kommt die Menstruation noch einmal so sind die Ärzte darüber einig, daß sie dann entwöhnen müsse.

Du wolltest von der Taufe was wissen, alter Junge! Nun vielleicht hat Dir Vater auf Deine letzte Bitte darüber noch geschrieben. Ich hebe nur Einiges hervor. Schauplatz I: in meiner Stube, die natürlich dazu ordentlich aufgeräumt war. Der Superintendent mit dem Rücken nach dem Spiegel stehend vor ihm ein Tischchen mit || Krukenbergs rother Karaffe und einem weißen Napf vom Baron (v. Düring) als Taufbecken, die anwesenden Pathen, die der Reihe nach das Kind hielten, nämlich Vater, Vater Christian, Lindig, Frau Doctor Adolph Schubert standen vor ihm im Halbkreise wie andere nach dem Fenster respektive der Thüre zu, dahinter. Die von dem guten Manne zum Glücke abgelesene Rede war kurz u. erbaulich. Er sprach komischer Weise von den Großvätern die den weiten Wege durch den Schnee nicht gescheut und dabei das Ordensfest im Stiche gelassen hätten! O jerum!! Der Junge brüllte anfangs ganz gehörig, nachher tutschtec er sehr gemüthlich und hörbar an einem, ihm nur zu diesem festlichen Ereigniß verabreichten Zuckerlutscher. Nach der Taufe große Tafel in d der großen Stube mit verschiednen Gerichten, die Dir sehr wohl gemundet haben würden. Gegen 6 Uhr zerstreute sich die Gesellschaft. Lindig e reiste noch nach 8 Uhr ab, bis dahin plauderten wir gemüthlich. Ueberhaupt war die Zeit sehr nett, wo die Gäste hier waren, Nachmittags wurde stets etwas spazieren gegangen, und Abends geplaudert, respektive Whist gespielt. Vater Christian litt nur leider etwas an Zahnweh. Uebrigens || sind alle glücklich wieder in Einem Tage von hier nach Berlin gereist.

Nachher hatte ich recht thüchtig zu thun, zumal die Sitzung und das Monatsende mit seinen Restlisten vor der Thür standen. Unter andern mußte auch Straube-Kögler wider Frotzecke, der Große Mahnungsprozeß noch vollends zu Ende gebracht werden, das Erkenntniß ist nicht weniger als 14 Bogen lang geworden und die Prozeßkosten in erster Instanz allein dem einen der 188 rℓ herausbekommt, 48 rℓ dem verlierenden 211 rℓ an Gerichtskosten. Freue Dich mit mir, daß ich das Dinges los bin. Uebrigens giebt‘s dafür wieder neue Aktenberge! –

Nun zu Dir, mein alter Junge! Du trittst mit Nächstem nun in ein neues Jahrzehnt Deines Lebens. Gott schenke Dir dieselbe Geistesfrische und Regsamkeit wie bisher und gebe Dir Kraft, die brausenden Wellen des jugendlichen Temperaments mehr und mehr zu zügeln und zugleich dabei mehr Selbstvertrauen als bisher zu gewinnen. Vertraue nur darauf, daß mitg der zunehmenden inneren Entwickelung das Ziel, das Du zu verfolgen hast, Dir mehr und || mehr klar werden wird. Daß Du Dich jetzt auf Eine Materie mit aller Energie werfen willst, ist gewiß recht wohlgethan. Selbst, wenn man diese Parthie späterhin weniger braucht, ist doch das tüchtige Durcharbeiten eines abgeschlossenen Ganzen von unberechenbarem Werth. – Uns aber laß auch fernerhin, wie bisher, treu zusammenhalten, je älter man wird, desto mehr lernt man den großen Werth und schönen Früchte eines innigen Familienlebens kennen. Zum Präsent mache ich Dir diesmal nichts Besondres Du mußt Dir schon den Tschudi, von dem jetzt 3 Lieferungen hier liegen mith darauf rechnen. Ich denke, das Buch wird Dir gefallen.

Wie steht es denn mit Deiner Militär-Angelegenheit. Treibe nur Vater, damit Du nicht zu spät erfährst, wann Du etwa nach Berlin mußt. – Die Nachrichten aus Berlin sind ja im Ganzen erfreulich. Mutter scheint nur einmal wieder gegiegelt zu haben.

Nun leb wohl, mein herzlicher Bruder, ich muß noch heut Abend einige Akten als Sonntagsvergnügen wälzen. Heut ist übrigens H. Faschki‘s Geburts Tag, zu dessen Ehren ich am Nachmittage unten Chokolade mit Kuchen vertilgt habe. Hier grüßt alles. – Bald vergaß ich Dir zu sagen, daß seit 8 Tagen der alte Kreiseinnehmer fort und der neue angekommen ist. Es scheint eine nette gelehrte Familie zu sein. Ferner: lege ich Dir ein Stückchen aus einem Beiblatt der Magdeburgischen Zeitung, die i ich jetzt lese bei. Es ist darin der Flora hiesiger Gegend mit Auszeichnung erwähnt. –

Was sagst Du zum Türkenkrige? Zwischen Rußland u. England Frankreich wird‘s wohl ordentliche Keile setzen!

Apropos! wegen des verspäteten Pakets habe ich mich beschwert, die Baiern sind dabei unschuldig! Es war aus Versehen nach Gera gegangen, die Adresse nach Gefell. Dort hat man den Fehler begangen, das fehlende Paket zu reklamiren und es statt dessen liegen lassen. Der Postbeamte dort hat dafür einen Verweis bekommen das Paket war indeß über Coburg nach Würzburg gegangen.

Junge, ich habe Deine Hausnummer vergessen! Bitte, schreibe sie mir im nächsten Briefe mit der Distrikts No.

a gestr.: 14 Tagen; b eingef.: ziehens; c korr. aus: tuchtschte; d gestr.: meiner; e gestr.: entfernte; f korr. aus: einem; g korr. aus: mir; h eingef.: mit; i wiederholt: die

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.02.1854
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35425
ID
35425