Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Ziegenrück, 11. Februar 1853, mit Nachschrift von Hermine Haeckel

Ziegenrück

11 Februar 53.

Lieber Bruder.

Bei dem schneckenartigen Postenlauf zwischen hier und Würzburg muß ich mich schon heut dran machen, Dir zum 16t zu schreiben. Erhältst Du den Brief früher, so mag er eine kleine Vorfreude für dich sein. Vor allem, liebster Bruder wünsche ich Dir einen frischen Muth, mit dem Du Deiner Zukunft entgegengehen magst. Es ist in der That bei Dir, der Du Dich wahrlich nicht beklagen kannst, von der Natur verwahrlost zu sein, ein krankhafter Zug Deines Geistes, Dir stets Gespenster vorzumachen, über das, was in Zukunft aus Dir werden soll. Verbittre Dir doch nicht dadurch die Gegenwart, die Du grad ganz besonders benutzen mußt, um eben etwas Tüchtiges dereinst zu leisten. Glaube ferner nicht, daß Du der Einzige [bist], den die Maße des Stoffes, der in jeder Wissenschaft zu überwältigen ist, oft in || Schrecken a setzt. Je länger man in seinem Fach arbeitet, desto mehr lernt man einsehen, daß es im richtigen Leben uns immer nur annährungsweise gelingt, die von uns gesteckten Ziele zu erreichen. Es tritt daherb bei einem Jeden mit der Zeit c eine Art Resignation in dieser Beziehung ein, die, wenn sie uns auch nicht abhalten darf, nach dem Höchsten zu streben und nie aufzuhören, das Ziel vor Augen zu haben, wenn es auch nicht erreicht wird, – doch uns die nöthige Ruhe und Zufriedenheit in unsrer Thätigkeit giebt und jene hindernde Angst von uns hinweg nimmt, die uns sonst wegen der Unvollkommenheit unsres Thuns quälte.

Also mehr Muth und mehr Selbstvertrauen, lieber Bruder, möge Dir Gott im neuen Jahre Deines Lebens schenken, dann wirst Du auch zu einer mehr nüchternen und verständigen Betrachtung Deiner selbst gelangen. Du hast dich bisher || in deinen Leistungen gewöhnlich unterschätzt, – das wirst Du selbst zugestehen, damit wird es dann anders werden.

Weiter möchte ich Dir auch dringend ans Herz legen, es Dir wohl zu überlegen, ob es gut ist, wenn Du jetzt von Würzburg fortgehst. Meiner Ansicht nach solltest Du dort noch die Kollegien, die recht gut sind, und die Du doch hören willst, forthören. Schleiden läuft Dir ja nicht fort. Ein So häufiger Wechsel der Universität ist nicht gut; man profitirt dann weniger von dem angeknüpften belehrenden Umgang der Dozenten. Solltest Du nicht durch eine fortgesetzte längere Bekanntschaft mit Prof. Schenk vield profitiren können? – Ueberlege Dir das mal. – Ich kenne natürlich nicht all die Umstände genau die Dich zum Bleiben oder Gehen bestimmen, f || will deshalb auch keinen bestimmten Rath ertheilen, möchte Dir aber doch dringend empfehlen, den Schritt ohne Uebereilung zu thun.

Hoffentlich hören wir nach dem 16t wieder was von Dir. Den letzten Brief, von Mimmi allein, hast du doch erhalten. Wirst Du denn wenn Du auch nach Jena gehst, uns auf der Ferienreise nach Berlin zuerst besuchen? Mimmi u. ich streiten uns darüber. Ich behaupte: er kommt erst her. Wenn es auch jetzt mit der Jahreszeit noch nichts ist zum Botanisiren, so sieht er doch, wie wir hier leben, und kann dann davon recht nett in Berlin erzählen. Mimmi meint, Du hieltest das nicht aus und müßtest gleich direkt zur Mamma. Unkosten würde der Umweg über hier nicht viel machen Du fährst mit der Bahn bis Hof, dann per Post bis Gefell und Schleizg und so weiter hieher. Wenn Du etwa so reisest, daß du den 13t Märzh Abends in Gefell bist, so kannst Du recht || bequem am 14t früh mit Herrn Kreis Gerichts Rath Voigt, dem dortigen Richter, der dann zu Sitzung herfährt, mitfahren. Ueberlege Dir das einmal. Sonst nimmst Du Dir von Schleiz aus Geschirr. Schreib mir darüber im nächsten Briefe.

Von Berlin aus hörst du gewiß zum 16t. Der alte Junge ist recht munter und schreibt mir sehr nette Briefe über Gervinus Buch, daß ja im Baierlande verboten ist! – Ich lese es jetzt mit vielem Interesse.

Ade lieber Junge, sei zum 16t recht vergnügt und denke auch an Ziegenrück.

Dein treuer Bruder

Karl.

[Nachschrift von Hermine Haeckel]

Lieber Ernst!

Als unterwürfige Ehefrau schreibe ich hinter meinem Herrn u. Gebieter den allerherzlichsten Glückwunsch für Dich mein lieber Schwager. Möge Dir das neue Lebensjahr i Alles das bringen was Dir noch fehlt und dadurch all Deinen Kummer || und Deine Skrupel genommen werden. Schneide nur immer tüchtig zu, da kannst Du künftig Deiner Kaffernfrau das Tranchiren abnehmen, das allein müßte Dich schon so anspornen, daß Du es mit Freuden betreiben wirst. Nicht wahr, und dann kannst Du auch Deiner Schwägerin den Sonntagsbraten tranchiren, wenn Du uns im März besuchst, auf welche Zeit wir uns sehr freuen. Derj Winter mit Schnee ist noch jetzt bei uns eingekehrt, hat die Wege so glatt gemacht, daß ich k wirklich bergab gefallen bin.

Aus Berlin hören wir leider von Tante Bertha immer nur schlechte Nachrichten, die arme Seele muß viel leiden. Aus Posen auch Schlechtes, Mutter hat in Folge der angestrengten Pflege 6 Tage krank gelegen. Helene hat nämlich eine schlimme Brust nach der Andern bekommen, die Beide durchgegangen sind, so daß eine Amme hat angenommen werden müssen. Seitdem habe ich noch keine Nachricht wieder. Wir sind hier ganz wohl, munter, und sehr glücklich und vergnügt, freuen uns aber ungemein Jemand Verwandten wiederzusehen.

Ade, in alter Liebe Deine Hermine.

a gestr.: Schrecken; b eingef.: daher; c gestr.: daher; d gestr.: en; e gestr.: t; f gestr.: Aber; g eingef.: und Schleiz; h eingef.: März; i Verschreibung: Dir; j eingef.: Der; k gestr.: beinah

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
11.02.1853
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35419
ID
35419