Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Agnes und Ernst Haeckel, Berlin, 9. November 1870

Berlin 9/11 70.

Liebe Kinder!

Herzlichen Dank Euch, Lieben, für Euere lieben Briefe. Wie oft habe ich Euerer gedacht und wollte Euch schreiben; aber ich konnte immer nicht dazu kommen; ich hatte so viel zu thun, und dann, wenn auch ein freier Augenblick war, mochte ich Euch nicht schreiben, da ich oft recht traurig war. Für unser meist so einförmiges Leben, waren die letzten 8 Tage recht unruhig.

Ama vorigen Donnerstag war bei uns Wäsche, wozu alle Gardinen abgenommen war, da kam Mittwoch Abend Frau Flügge geb. Focke mit ihrer Tochter. || Lieber hätte ich den Besuch ohne Wäsche gehabt, aber das mußte gehn. Nun wurde Vater Donnerstag Nachmittag plötzlich bedenklich krank, so daß sich zu Quincke schickte, wie der kam hatte er sich wieder erholt. Im Ganzen ist Vater jetzt wieder wohl, nur oft matt, und er schläft viel. In den letzten Tagen sind wir auch täglich ausgefahren, ich glaube er weiß nicht, wie unwohl er gewesen, wenigstens sagt er nichts davon, und es ist auch besser: Du schreibst nicht darüber, da er doch immer Deine Briefe lesen will; ich dachte aber ich müsse es Dir doch schreiben. || Vater ist zufrieden und heiter. –

Heute Mittag hatte ich einen rechten Schreck: als wir mit unsern Gästen, die heute Abend abgereist sind, bei Tische sitzen, kommt Gustav herein, und sagt Minna hat sich das ganze Gesicht verbrannt; sie hatte den Karpfen, den sie in meiner Gegenwart geschlachtet hatte, und ich mit kochendem Essig gebläut, in den Topf gethan, da [er] herausgesprungen war, und das kochende Wasser Minna ins Gesicht gesprützt hatte. Ich legte gleich Watte über das ganze Gesicht, und später auf Flügges Rath: Arnika, darnach scheint es zu bessern, und ich hoffe, es wird gut vorüber gehn. – – ||

Fast täglich hört man Trauerkunde vom Kriegsschauplatz: so ist Conrad v. Saluskowsky und Gustav Keller geblieben, ein anderer Sohn vom Graven [!] Keller soll verwundet sein, ich weiß nicht, ob Fritz oder Adolf.

Deine liebe Mutter hat mir die Freude gemacht, mich mit Clara zu besuchen, es thut mir leid, daß ich nicht zu ihr gehn kann. – ||

Wie sehr, meine lieben Kinder habe ich mich gefreut, aus Eueren Briefen zu sehn, daß Ihr gesund und heiter seid, und daß Euer kleines Putchen so lieb ist. Gott erhalte Euch das liebe Kindchen; und meine liebe Agnes, gehe nur mit Zuversicht der nächsten Zeit entgegen, es wird ihr dies mal gewiß viel besser gehn, da sie sich ja auch frischer fühlt. Wenn es auch mit dem Nähren gut geht, so kann ich die Hoffnung haben, daß sie zum Frühjahr mit beiden Kindern zu uns kommen kann. || Wir gerne möchte ich Eueren kleinen Liebling sehn. –

Daß Du, meine liebe Agnes, b Deinenc Geburtstag mit Deinem lieben Mann und Kindchen heiter verlebt hast, freut mich, ich habe Deiner viel gedacht, auch wie Du Deine liebe Mutter an dem Tage vermissen würdest. Wie sehr wünsche ich Deine liebe Mutter sei erst die Sorge um Marie loos. Das Ereigniß läßt ja lange auf sich wartten. – – –

In Potsdam geht es gut, Tante Bertha will || morgen hinfahren. –

Wie steht es denn mit Deinen Vorlesungen, lieber Ernst, hast Du Zuhörer? –

Wenn Du kannst, schreibe uns doch recht bald, lieber Ernst. Es ist ja für uns die größte Freude, wenn wir hören, wie es unsern Kindern geht. Vater grüßt euch Beide herzlich. –

Gott sei mit Euch, bleibt gesund und zufrieden. –

Mit innigster Liebe grüßt Euch

Eure

alte Mutter

Lotte

a gestr.: Zum; eingef.: Am; b gestr.: an; c korr. aus: Deinem

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
09.11.1870
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 35408
ID
35408