Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Teplitz, [nach 14. Juli 1861]
Mein lieber Herzens Ernst!
Herzlichen Dank für Deinen lieben Brief, der mir so viel Freude macht, da ich so sehr nach Nachricht von Dir verlangt habe, und ich nun sehe, daß es Dir gut geht, auch freue ich mich, daß Du den kleinen Ausflug nach Kösen gemacht hast. Halte Dich nur frisch und gesund, damit ich mich im Herbst recht über Dich freuen kann. Mit meiner Gesundheit geht es besser, und wir müssen abwartten, wie es werden wird; mir erscheinen diese oft wiederholten Zufälle || als eine ernste Mahnung, immer zum Abmarsch bereit zu sein; nun so wie Gott will, muß und wird es gut sein. Da wird dann immer der Wunsch bei mir lebendig, daß Ihr Euch des Vaters recht treulich annehmen sollt, wenn er mich überlebt. Ist es Gottes Wille, so bleibe ich ja noch gerne bei Euch, und ich werde mich freuen, wenn es mir noch vergönnt ist, Dich in Deiner gewünschten Häuslichkeit zu sehen. – ||
Mit Deinem Brief zugleich kam auch einer von Karl aus Ziegenort, der mit seiner ganzen Familie Sonnabend früh in einer großen Postkutsche Freienwalde verlassen hatte. In Neustatt waren sie mit Helehne zusammengekommen. In Stettin hatte Bertha die beiden Schwestern mit ihren Kindern überrascht, Helehnchen und Hermine sind dann mit ihren Kindern nach Heringsdorf gefahren, und || Karl mit Bertha nach Ziegenort, wo es ihm sehr gut gefällt, er denkt Freitag nach Heringsdorf zu gehen. – – –
In diesen Tagen hat mich der traurige Vorfall in Baden viel beschäftigt, und tief bewegt; wie sehr beklage ich den Jungen Phantasten, der aber mit großem Leichtsinn doch solche schwere ernste That muß unternommen haben; denn || sonst mußte er doch sich gesagt haben daß er zu jung und zu unerfahren ist, um beurtheilen zu können, welche Folgen es haben würde. Abgesehn davon daß gewiß nie ein Einzelner berechtigt ist gewaltsam die Weltereignisse lenken zu wollen; so hätte er, wenn die That gelang ein unsegliches Unheil über unser Land gebracht, und gewiß das Ziel weiter hinausgerückt, was er her-||beiführen wollte. –
Dabei jammert mich der Mensch sehr, und welch Elend hat er über sich und seine unglücklichen Eltern gebracht. Sein Vater, ein russischer Staatsrath, ist im Frühjahr hier zur Kur gewesen, a und soll immer mit großer Liebe von seinem Sohn in Leipzig gesprochen haben. –
Wie schrecklich muß der Seelenzustand dieses Menschen sein, wenn er zum ruhigen Besinnen kommt. – ||
Künftigen Sonnabend wird auch August Jacobi herkommen zum Gebrauch des Bades. – –
Wie sehr freue ich mich, daß es Anna jetzt so gut geht, ich hoffe nur, daß sie jetzt auch vernünftig ist, und nicht es mit dem Baden übertreibt. –
Nun leb wohl, mein lieber Herzens Ernst, halte Dich gesund, und behalte lieb
Deine
alte Mutter
L. Häckel.
a gestr.: So