Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 1.-3. August 1896

Potsdam d. 1 August

1896

Lieber Bruder!

Der Sendung der versprochenen 600 Mk. aus Deiner Kasse muß ich doch einige Zeilen über hier beilegen. Das Leben ist in diesem Sommer recht unruhig, alle Augenblick Veranlassung zum Herüberfahren; in der heute ablaufenden Woche war ich ebenso wie in der vorhergehenden 2 mal in Berlin, theils in Geschäften, gestern zu einem Begräbniß (von Frau Herms, Mutter von Frieda Herms) u. einmal zur Ausstellung, die doch recht reichhaltig ist, u. an der man (ich war Mittwoch nur in der eigentlichen Gewerbe-Ausstellung) die Ausgedehntheit der Berliner Gewerbe allein schon bewundern muß. Die Exportthätigkeit der Hauptstadt kommt darin doch recht zur Darstellung, wird den Fernerstehenden so zu sagen ad oculos demonstrirt. Ich habe Dir von da eine Karte gesandt. Die geschäftliche Seite dreht sich bei mir hauptsächlich um meinen Ernst. Georg und Julius waren beide in Radewitsch u. haben Schritte zum baldigen Verkauf des Weinbergs vorbereitet. Wir müssen || abwarten, was dieselben nützen werden.

Julius u. Leni sind seit dem 27st vorigen Monats im Riesengebirge, u. schreiben recht befriedigt, haben sich einige Tage in Spindelmühle zu Ausflügen aufgehalten. Wir erwarten sie nächsten Montag zurück. Hahn’s will ich mit Frl. Kniebe morgen Nachmittag in Lichterfelde besuchen. Sie wollten gestern heimkehren.

Tante Bertha ist die alte, vorgestern Nachmittag mit mir bei Mutter Lisco, wo die ältere Tochter Frau Wendt aus Stuttgart zum Besuch ist. Tante hat natürlich fast immer Besuch für die Ausstellung, erwartet Anfang der neuen Woche Frau Krupp-Erfurt, mit 2 Töchtern, die aus Heringsdorf zurückkommen u. von der Mutter in Berlin abgeholt werden. Georg bleibt bis morgen noch bei ihr, siedelt dann wieder in sein Heim über.

Ich trinke seit 25st vorigen Monats Obersalzbrunn, um den Knöchhusten wegzubringen und die leichte Heiserkeit. Er scheint mir gut zu bekommen, nur macht das Gehen nach dem Trinken mich oft recht müde u. unlustig, irgend etwas vorzunehmen. Die oft schwüle || Hitze trägt dazu auch das ihrige bei.

den 2 August

Gestern war ich in so müder Stimmung, daß ich diese ledernen Zeilen nicht beendigen mochte. Heute, wo ich auf dem Zeuge bin u. so eben eine gute Predigt von unserm neuen Prediger Falk gehört habe, will ich Dich doch mit noch was anderm unterhalten.

1.) Ueber ein Ausschnitt über Huxley aus der National Zeitung, der Dich interessiren wird, wenn er auch Dir nichts Neues sagt.

2.) Heute bei Hahn’s gewesen, die alle munter u. recht gebräunt von Prerow bei Zingst, zurückgekommen sind. Walter u. Eva haben Frl. Kniebe u. ich auf 2 Tage mit hierher genommen; da Vater u. Mutter mit Lotte für den ganzen Tag in die Gewerbeausstellung wollen (wegen der Ferien geht es jetzt besser). Die Kinder sind nett und Eva ein gewandtes 10jähriges, das nett plaudert u. erzählt; der 5jährige Walter ein famoser Bengel, klug, redet Einem ein Loch in den Bauch, unbändig u. altklug, vom Vater verzogen, in Prerow aller Liebling u. beim Wirth sich stets im || im Stall bei den Pferden herumtreibend. Lotte hat 7 [Pfund] zugenommen in Seebad u. Seeluft, ist still u. nett, eher phlegmatisch. – Friedel ist zur Zeit im rechten Studententrubel; die Ruperter feiern vom 1-3 August ihr Stiftungsfest. Um den 7t dieses Monats herum will Siegfried seine erste größre Gebirgsreise in die Alpen antreten, Vorarlberg, Tirol, München, u. Nürnberg zurück. Ich hoffe, er bekommt gutes Wetter und nette Reisegesellschaft.

3.) Du wolltest zu Gegenbaur’s 70st Geburts Tag, ich habe Datum u. Ort vergessen, wollte ihm gern telegraphisch gratuliren, bitte wohin? –

4.) Bitte sende mir vor Deiner Reise das Semon’sche Buch (das Dedikationsexemplar) u. lege das Schriftchen von Vogel, überHaeckel und die monistische Weltanschauung“ bei; wenn Du es nicht hast, liegt es bei Heinz, ein dünnes Heftchen! – Ich dächte, ich hätte es bei Heinz gesehen.

3 August

Gestern schön, aber schwül. Heute wieder gründliches Regenwetter, wie am vorigen Freitag. Ich kann doch wohl zufrieden sein, daß ich bei Dir so gutes Wetter getroffen.

Herzliche Grüße von Deinem

treuen Bruder

Karl,

Desgl. an die Deinigen!

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
03.08.1896
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35349
ID
35349