Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 23. August 1893, mit Nachschrift von Bertha Sethe

Berlin d. 23. 8. 93.

Lieber Bruder!

Bei Tante Bertha weilend, ersehe ich aus Deinem an sie abgegebenen letzten Briefe vom 20st dieses Monats, daß Du den 25st Gastein verlassen willst. Ich beeile mich, Dir noch dies Lebenszeichen dorthin zu senden.

Tante ist munter und hat mit mir 3 Stunden in der wunderlichen Kunstausstellung zugebracht, die „die große“ diesmal wohl nur deshalb genannt werden kann, weil sie reich an Geschmacklosigkeiten ist und einem diese immer zuerst in die Augen springen. Sie hindern ordentlicha sich das Gute an Porträts, Landschaften und Genre-Bildern || herauszufinden, das doch noch vorhanden ist. Diesen Münchner u. Düsseldorfer u. hiesigen Secessionisten, die meinethalben Gott weiß wohin hätten sezessioniren können, hat die Ausstellungs-Kommission doch zu viel Ehre angethan. Ich möchte wohl wissen, was ein Kunstkenner der 1950er Jahre über solche Geschmacksverirrungen für ein Urtheil fällen wird! –

Doch genug; ich habe b meinem von ökonomischen Sorgen (Amerikaner, Hausverkaufsabsichten u.s.w.) beschwerten Sinn doch mal auf einige Stunden eine andre Denkathmosphäre verschafft, trotz der immer noch argen Hitze, die bei wieder-||holten Gewittern doch nicht weichen will.

Die Stickhustermokelchen bessern sich. Eva wird wohl Sonntag nach Lichterfelde übersiedeln, der Junge noch einige Wochen in Berlinc bleiben. Er macht uns in seiner Drolligkeit sehr viel Freude. Friedel geht seit 8 Tagen wieder zur Schule, kam sehr befriedigt von seinem Ausflug nach Ziegenrück und Schwarzburg zurück. Von den auswärtigen Kindern habe ich gute Nachrichten.

Tante Bertha denkt, nach der silbernen Hochzeit Heinrich Sethe’s noch nach Bonn auf einige Wochen zu gehen. Die Bonner haben sie so gequält. Sie hält sich trotz Hitze merkwürdig frisch.

Hoffentlich ist Dir Gastein gut bekommen. Schreib doch mal von Krumpendorf aus.

Mit Gruß

Dein treuer Bruder

Karl. ||

[Beischrift Bertha Sethes]

Herzlichen Gruß von der Alten. Ich hab mich entschlossen noch nach Bonn zu reisen d vom 13. Sept. bis 8-10 Oktober; ich schreibe Dir noch ein Mal, wenn ich weiß, daß Du wieder zurück bist.

Immer Deine

alte Tante Bertha

a eingef.: ordentlich; b gestr.: mir; c eingef.: in Berlin; d gestr.: werde

Brief Metadaten

ID
35320
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Datierung
23.08.1893
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,0 x 22,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35320
Zitiervorlage
Haeckel, Karl an Haeckel, Ernst; Berlin; 23.08.1893; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_35320