Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 23. Dezember 1894

Potsdam

d. 23 Dezbr 1894.

1.)

Liebes Bruderherz!

Eben habe ich Cassel u. Euskirchen mit Weihnachtsbriefen abgefertigt. Da sollst Du doch auch noch heran, wenn ich auch durch Heinrich erst heut Abend von Dir frische Grüße erwarte.

Die letzte Woche habe ich tüchtig gerechnet, um meine 8 Kinder, von Mimmi, betreffs ihres Großeltern- u. Untzer’schen Erbes auseinander zu rechnen, so weit dies möglich; die Kuxe u. eine Reserve behalten die 6 Kinder u. Kindeskinder doch gemeinschaftlich; nur Carl u. Ernst habe ich hiervon ganz ausgesondert. Nach der Taxe erhält ein jeder der acht Stämme ca. 11.000. Mk, die werden nun wohl von Ernst, – der nach Hermann’s Mittheilung im Februar zu heirathen beabsichtigt; mir hat er bis jetzt davon nichts gesagt – in wenigen Jahren aufgezehrt sein. Und was dann? – Du hast gut reden, wenn Du || meinst, man müsse ihn seinen Weg gehen lassen; er möge dann sein Lehrgeld geben. Ja, wenn das nur wäre. Aber bei ihm habe ich bei diesem Experiment die sichre Aussicht, für ihn respektive die Familie nachher als Bedürftige den nothdürftigen Unterhalt in Folge gesetzlicher Verpflichtung gewähren zu müssen. Und, wenn ich es nicht erlebe, haben seine Geschwister diese Pflicht. Da hält es schwer, einen Riegel vorzuschieben. Ernst ist ja jetzt in einer erbärmlichen Klemme: er hat den unzuverlässigen Winzer nebst Familie seit November entlassen, sich einen jungen Gehülfen gewonnen u. lebt mit diesem, ohne weiblichen Dienstboten, auf dem einsamen Nest von schlechter Kost aus dem Dorfgasthofe der ca. ¼ Stunde ab liegt, u. von kalter Küche. Daß er da das Bedürfniß hat nach einer Häuslichkeit || mit Hausfrau, ist natürlich. Da will nun abera mit der Frau noch die Schwiegermutter einziehen, da erstere keine andre Ausstattung mitbringen kann, als die Häusliche Einrichtung der Letzteren. Nun müssen aber doch beide Theile rechnen, ehe sie einen solchen Schritt thun; sie müssen doch annehmen können, wenn auch kümmerlich, auf dem Weinberg auszukommen. Wenn man dagegen annehmen muß, daß man ohne erhebliche Zubuße von Kapital nicht wird existiren können, so heirathet man doch aber nicht, und wenn man sich noch so unbehaglich befindet.

Das alles habe ich Ernst in meinem letzten Brief zur Erwägung geschrieben und ihn angewiesen, in Gemeinschaft mit Hermann, bei dem er die nächsten 2 Tage zubringen wird, sich || einen Voranschlag zu machen. Weiter kann ich aber nichts thun. Ich fürchte das wird auch nichts helfen. Ich habe ihm nur noch geschrieben, daß er der Familie Hug über seine pekuniär so mißlichen Aussichten reinen Wein einschenken solle –

Doch genug hiervon. Sonst geht es ja in der Familie gut. Hermann fühlt sich glücklich mit seiner 2ten Frau; in Cassel ist Taufe gewesen, die Schwiegertochter aber noch etwas schwach (die Mutter seit 8 Tagen wieder hier) u. hat nun ihr volles häusliches Arbeitspensum. Bei Julius und Leni in Euskirchen ist die Schwägerin Mika gewesen und hat viel von da zu erzählen. Die Schwiegermutter wird wohl im Februar hin müssen. Und mein Siegfried arbeitet jetzt emsiger u. mit mehr Lust als Früher auf das Examen los. Bei Hahn’s sollen wir morgen Abend, sie bei mir am Dienstag sein. Heut Abend wird hier beschert, sobald Heinz da ist. Er wollte vorher zu Tante Bertha, der es leidlich geht, doch wird sie zum Fest, zumal bei dem Wetter, nirgends hingehen, da sie nicht fahren soll. ||

2.)

In der Lisco’schen Familie macht der jüngste, Heinrich, Sorge. Er hat im October dem Ober Kirchen Rathb angezeigt, daß er das Apostolicum nicht mehr in der Liturgie lesen könne, statt dessen ein (in Schlesien zugelassenes) Lutherlied lese. Da ist er seit 14 Tagen vom Amte suspendirt u. hat seine Absetzung zu gewärtigen. Ob er zur rechten Zeit u. in richtiger Weise die Sache zur Entscheidung der Behörde gebracht hat, ist mir noch nicht erklärlich. Ich habe ihn noch nicht gesprochen. Er wird wohl nun die akademische Laufbahn einschlagen.

Von Euch habe ich durch Tante Bertha gehört. Daß es Agnes leidlich geht freut mich. Zum Feste werdet Ihr wohl mit Emma allein sitzen.

Du willst Helm nicht haben? Auch nicht sein „Lebensbild“ von Schiemann?? Wenn das nicht, kennst Du Heinrich Seidel’sche kleine Novellen oder Erzählungen? Sie sind sehr nett geschrieben und würden gewiß || auch Agnes gefallen, wenn sie sie nicht schon kennt: Nette Ausgabe in kleinen saubren Bändchen! – Bitte, wähle! –

Nun zum Schluß, ein fröhliches Fest Dir und den Deinen wünscht

Dein

treuer Bruder Karl.

a eingef.: aber; b eingef.: dem Ober Kirchen Rath

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
23.12.1894
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35312
ID
35312