Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 13. Januar 1887

Potsdam

den 13 Januar 1887.

Mein lieber, lieber Bruder!

Unter wieder ganz besonderen Umständen verlebst Du diesmal Deinen Geburtstag, zu dem ich Dir hiermit herzlichst Glück wünsche. Möge Dir auf Deiner Reise die Gesundheit erhalten und gekräftigt werden; mögest Du glücklich und ohne durch Kriegsunruhen Dich hindurchwinden zu müssen heimkehren und die Deinigen im vollen Wohlsein – hoffentlich auch noch unsre alte Mutter – wiederfinden. Letztre wird am Schluße mir noch einige Zeilen für Dich diktiren.

Sie hat noch lebhaft Theil genommen an dem Schicksal meines Schwagers Lisco und mir wiederholt geäußert: „sie preise ihn glücklich, daß ihm dies Loos (eines raschen Todes) zu Theil geworden.“ Sie leidet doch viel unter ihren gichtischen und Altersschwäche-||Schmerzen. Namentlich alles aufstehen und Niedersetzen verursacht ihr Qual. Und bei alledem faßt sie solche Ereignisse, wie Lisco’s Tod u. die Beschreibung seiner Bestattung, die sie in der National Zeitung las (vom Freitag Abend, lies sie doch dort nach im Hauptblatte No 88), noch lebhaft auf. Sehr freute sie sich, als sie heute deine Karte aus Dresden erhielt. Schreibe nur ja oft an sie.

Du wirst wohl eine kalte Fahrt nach Wien und Triest gehabt haben, wiewohl die Coupés wohl auch auf dieser Tour geheizt sind. Hier hat es in den letzten Nächten immer noch tapfer gefroren (einmal bis -7°) und bei Tage ist trotz sinkender Temperatur immer herrliche Eisbahn mit auf dem heiligen See und nach Sakrow hin gewesen. Auch heute noch waren Marie u. Julius dort, die beide eifrige Schlittschuhläufer sind. Ich bin nur einige Male mitgelaufen. Mahnungen von Ischias, zu denen jetzt auch noch ein heftiger Kehlkopfskatarrh sicha gesellt hat, haben mich nachher davon abgehalten. Dafür habe ich aber || in der letzten Woche sogar 4 mal Berlin besucht: zu einem kleinen Diner bei Tante Bertha; am Tage von Lisco’s Tode, um meiner Schwägerin zu kondoliren, zu einem Zusammensein mit Freund Abegg aus Danzig (der der Kinderheilstätten wegen in Berlin war) und den Freunden Meyer und Weber, und endlich zu Lisco’s Bestattung, die ganz großartig und erhebend war. Im Uebrigen sitzen wir dick drin in Wahlen, (ich sende Dir unsern Aufruf), werden aber schwer zu arbeiten haben, wollen wir durchdringen. Du glaubst nicht, welche Lügen u. Kniffe angewandt werden, um die Sachlage zu verdunkeln und den Kern des Streits, das Septennat, den Leuten aus den Augen zu rücken; Monopole, neue Steuern, Gefährdung des Wahlrechts sind der Popanz, mit dem man den kleinen Mann zu schrecken sucht. Und dabei gehen die Vorbereitungen zur vollständigen Kriegsbereitschaft ihren langsamen, aber sicheren Gang weiter.

Ich halte auch jetzt noch den Krieg für wahrscheinlicher als die Erhaltung des Friedens.

Nun, lieber Bruder, reise glücklich; schreibe uns wie Du den 16t in Triest verlebt; von Deiner || Abreise von da und antworte mir auf meinen Vorschlag, Dir schleunige Mittheilungen durch die Lloyd-Direktion zu machen.

In alter Liebe

Dein treuer

Karl.

Von Mutter herzlichen Gruß und ihre Segenswünsche folgten Dir auf der Reise und sie bäte dringend, Du solltest Dich recht in Acht nehmen; und vor allem einen Geburtstagsglückwunsch.

Lotte Häckel

a eingef.: sich

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
13.01.1887
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35233
ID
35233