Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 13.-20. Dezember 1881
Potsdam 13 Dezember 1881
Lieber Bruder!
Wenn Du einen Neujahrswunsch rechtzeitig erhalten sollst, lieber Bruder, so müssen wir, wie ich eben ersehen, uns mit der Absendung beeilen, oder vielmehr – es ist wohl schon zu spät dazu. Denn Dein Brief (Postkarte) von Bombay hierher hat 18 Tage gebraucht, u. wer weiß wo Du noch hinter Colombo bist, wenn diese Zeilen dorthin gelangen. Heute lese ich in der Zeitung, daß ein (Austria) Lloydschiff gestern in Triest mit Ueberlandpost angekommen ist. Da können wir wohl die nächsten Tage auf die erste brieflichen Nachricht von Dir aus Ceylon rechnen und erfahren vielleicht auch, wo Du Dich dort definitiv niederläßt.
Wundre Dich nicht über meine potenzirt schlechte Handschrift. Aber ich schreibe halb liegend mit fahligem Lampenlicht (hinter der Hand) im Bette. Mit dem Bein ist es noch ebenso. Der elektrische Apparat hat lange auf sich warten lassen, so daß die Versuche damit erst morgen beginnen. Ich verspreche mir nicht grade viel davon. Die Hauptsache wird wohl erste eine Badekur im Frühsommer thun können. Ich wünsche mir deshalb zum Weihnachtsgeschenk vor Allem eine gute Portion Geduld!! ||
− Dein (einbogiger) Reisebrief aus Bombay kam über Jena in voriger Woche an. Er macht uns recht begierig auf die Details über den Bombayer Aufenthalt, die Du wohl in dem Bericht für die „Rundschau“ geben wirst. Reservire Dir nur ordentliche Zeit zu Briefen u. Berichten. Später kommst Du doch, wie Du aus Erfahrung weißt, nicht zu weiteren Ausarbeitungen. Auch fehlt es Dir dann an der Frische der Eindrücke.
− Was ich den ganzen Tag mache? ‒ Wirst Du fragen. Die Zeit ist mir in den 14 Tagen, die ich nun schon liege, noch nicht lang geworden. An Besuchen von guten Freunden hat es, bisher wenigstens, noch nicht gefehlt. Etwas arbeite ich noch für’s Verwaltungsgericht u. Lektüre liegt für mich in Masse da, so daß ich kaum weiß, wo ich zuerst zugreifen soll. Am meisten fesselt mich brandenburgische Geschichte unter den ersten Hohenzollern, in welche ich durch Lektüre eines Alexis’schen Romans (Roland von Berlin) hineingerathen bin. Doch schließlich bekommt man bei dem Liegen alles satt u. läßt die Ohren hängen. Da ist der Verkehr mit den Kindern und der alten Mutter, die täglich des Abends auf ein Paar Stunden herunterkommt, die beste Zerstreuung u. Aufheiterung. Mein Friedel ist viel um mich; ein lieber Kerl aber auch ein rechter Bock! –So kann er ganz gut Worte behalten, aber aufsagen will er sie nicht. Nur unter vieler Geduld und manchem Klaps, den er besieht, lernt er jetzt: „Wer will unter die Soldaten, der muß haben ein Gewehr pp“; dafür || soll er denn auch zu Weihnachten ein Gewehr (für ganze 75 Pfennig!) u. entsprechenden Helm u. Säbel aufgebaut bekommen.− Mit Zahlen beschäftigt er sich mit besondrer Vorliebe; seit kurzer Zeit ist aber auch die Zeichenpassion in ihm erwacht und er hat heute den ersten Vierfüßler selbstständig produzirt.
Bei alt Mutterchen waren von Sonnabend bis gestern (Montag) Tante Bertha u. Hedwig Bleek zu Besuch. Letztre hat uns gar Manches über die Zustände auf der Estancia erzählt. Bei längerem Zusammensein gestaltet sich das Bild, welches man sich von solchem Leben macht, doch mannigfacher u. lebendiger. Es ist doch eine große Entsagung, dorthin zu gehen. Günstigere Zustände (schönere u. doch ebenso ergiebige Gegend und auch leidliche politische Verhältnisse) sollen in Süd Brasilien sein, u. dürfte sich dorthin mit der Zeit wohl eine größere Einwanderung von Deutschen lohnen, wenn wir nicht Gelegenheit finden, uns irgend ein passendes Territorium zur Colonisierung auf diese oder jene Weise zu acquiriren. Auf die Dauer wird das für uns doch am Ende zur Nothwendigkeit werden, um eine angemessene Ableitung der Uebervölkerung und Ablagerung sozialistischer Gährungeselemente zu bewirken. Du hast ja jetzt Gelegenheit, Deine Beobachtungen über Colonien und deren Rückwirkung auf das Mutterland zu machen. Versäume es nicht. – ||
d. 20 Dezbr.
Gestern kam endlich Dein täglich erwarteter erster Reisebrief aus Colombo, den wir heut nach Jena gesandt haben, u. worin Du von Deinem Empfang beim Gouverneur schreibst. Ich habe mir die neue Adresse für Colombo – Austro-Ungarian-Lloyd’s-Agency notirt und werde auch dorthin für I. Qu. 82
1. die illustrierte Zeitung
2. die Wochenausgabe der Coelner
die beide bisher an das deutsche Consulat in Colombo adressirt waren, fernerhin senden lassen. Änderst Du Deinen Aufenthaltsort, so mußt Du dafür sorgen, daß die Briefe pp. nachgesandt werden.
Wir freuen uns recht, daß Dein Aufenthalt Dich so befriedigt (ist Herr Stippberger ein Cop. von p. Freuenthal oder was sonst?). Hoffentlich lesen wir bald was von Dir in der Rundschau. Herwärts gehen die Briefe grad 21 Tage. – Das Weihnachtsfest werden Tante Bertha u. meine beiden Gärtner mit uns verleben u. wie ich hoffe, werdena die Deinen b einen Tag von Berlin herüber kommen. Mit herzlichen Grüßen auch im neuen Jahre Dein treuer Bruder
Karl
c Mein Zustand ist noch unverändert.
d Das Elektrisieren geht erst morgen los; der Apparat war nicht in Ordnung.
e Die Coelner Wochenausgabe u. die Illustrierte Zeitung werde ich beide pro I. Quartal wieder bestellen u. zwar, wenn ich bis Ende Dezember nicht andere Ordre habe, nach Colombo.
f Geld liegt zur Soforterhebung für Dich bereit. Schreibe also, sobald Du dort à C. Kaufmann Dir hast Zahlungen leisten lassen.
a gestr.: u.; eingef.: werden; b gestr.: werden; c weiter am Rand v. S. 4: Mein Zustand ist noch unverändert.; d weiter am Rand v. S. 3: Das Elektrisieren geht... nicht in Ordnung.; e weiter am Rand v. S. 2: Die Coelner Wochenausgabe...habe, nach Colombo.; f weiter am Rand v. S. 1: Geld liegt zur...Zahlungen leisten lassen.