Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 12. Juli 1874, mit Beischrift von Clara Haeckel

Potsdam d. 12 Juli 1874.

Lieber Bruder!

Eine Correspondenz in der National Zeitung von heute dd. Weimar d. 10t dieses Monats beunruhigt mich, weil Du darnach den Ruf nach Bonn schon abgelehnt haben sollst. Wenn ich auch annehme, daß diese Nachricht nicht richtig ist, da Du Dich damals noch nicht entschieden haben konntest, so machte mich doch schon Dein Schwanken in dem ersten Briefe an Mutter besorglich. Ich fürchte Du könnest Dich durch solchea Motive in der Entscheidung bestimmen lassen, – die Du Dir selber zwar nicht in den Vordergrund stellst, die aber schließlich doch am Ende innerlich in Dir den Ausschlag geben können. Ich meine die || Hoffnung auf eine andre Dir noch mehr zusagende Berufung und denke dabei an Heidelberg. – Einmal ist mir doch – u. ich stütze mich hierbei nur auf Deine eignen Äußerungen – sehr zweifelhaft, ob das dortige Arbeitsfeld für Dich lohnender sein würde, in Bonn: Dann ist doch auch sehr fraglich, ob resp. wann einmal dort eine Vakanz eintritt und ob Du dann berufen wirst, und endlich: ob dann grade für Deine innre Entwicklung ein Wieder-bZusammensein mit Deinem Freunde Gegenbaur so heilsam sein würde. So schön u. angenehm dies Zusammenleben für dich gewesen sein mag, so habe ich doch auch den Eindruck gewonnen, daß ein selbstständiges Dastehen und Allein-cHandeln-müssen für die Charakterentwicklung (u. auch für den wissenschaftlichen, denke ich) in dem Alter, in dem Du Dich befindest, für Dich eine Nothwendigkeit ist, mag || Dir dies auch anfangs unbehaglich und unbequem sein. Da mußt Du Dich durcharbeiten, u. was Du jetzt angefangen, mußt Du d in Bonn fortführen, nicht aber wieder in das alte Verhältniß zurück wollen.

Daß Du aber Bonn gegen Jena aus realen Gründen vorzuziehen hast, darüber verliere ich kein Wort, sondern berufe mich einfach auf Deine eignen Äußerungen gegen uns um Pfingsten.

Ich fürchte, Du übereilst Dich in der Ablehnung. Darum noch diese Zeilen.

Mein Verband soll eben abgenommen werden. Ich muß schließen Mutter kommt Dienstag Nachmittag 5 Uhr 24 Minuten in Jena an.

Dein treuer | Bruder. ||

[Beischrift von Clara Haeckel]

ich sende nur noch herzliche Grüße mit dem Wunsch Ihr möchtet gehn u. die Lostrennung von Jena wie die Uebersiedlung nicht scheuen.

In herzlicher Liebe

Eure Clara

d. 12. 7. 74.

a eingef.: solche; b eingef.: Wieder-; c eingef. Allein-; d gestr.: fo

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
12.07.1874
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35056
ID
35056