Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, 13. Oktober 1873

Potsdam 13. Oct. 73.

Lieber Bruder!

Diesmal lasse ich die Erfüllung der Vertröstung auf dem Fuße nachfolgen; und entledige mich bald des Versprechens Dir ordentlich zu schreiben. Das kommt aber daher: das böse Dinge auch ihre guten Wirkungen haben. Das böse Ding ist bei mir ein Hühnerauge oder, – wie die klugen Operateure behaupten – eine Warze unter dem Ballen des rechten Fußes. Besagtes Auswuchs-Individuum habe ich mir auf der Sommerreise geholt, erst wenig beachtet, dann aber, weil es unbequem wurde, durch Einen der berühmten Potsdamer Hühneraugenoperateure (beide Schuster ihres Zeichens, u. einer ein so großes Kaffer wie der andere) mir daran herumschneiden lassen. Er schnitt mich a am 14. September blutig und ich mußte deshalb einige Tage den Fuß sehr schonen. Dann traktirte ich die Warze mit rauchender Schwefelsäure, was anfangs gut that; so daß ich doch nach Dresden konnte mit Anna und auf die Bastei.||

Seit ca. 8 Tagen wurde das wieder gewachsene Unthier aber unbequemer; ich ließ mich noch am Sonnabend von dem Anderen, der es besser gemacht hatte als der Erste, wieder schneiden, u. auch der schnitt blutig. Nun schmerzt die Stelle recht ordentlich u. ist etwas entzündet, so daß ich sie kühle u. nach Möglichkeit zu Hause ruhig liege. Es ist recht langweilig für ein unruhiges Blut, nicht so laufen zu können, wie man gern will und das kann ich nun schon seit 4 Wochen nicht. Nun bemitleide mich aber nicht weiter groß; sondern schreibe mir:

ob u. welcher Unterschied zwischen Warze u. Hühnerauge ist, u. warum die Dinger so empfindlich, deren Schneiden mitunter sogar gefährlich ist? –

Von meiner Sommerreise habe ich Dir früher kurz berichtet. Sehr kam mir Deine Empfehlung an Allmers zu Statten doch hatte ich bei dem liebenswürdige Manne das Gefühl, daß er nicht ins rechte Fahrwasser eingelaufen ist. Er hätte nur Künstler und Schriftsteller ex professio werden müssen. Zum Landwirth taugt er nicht.

Nach der Reise habe ich, wie Du weißt ruhig zu Hause gesessen, u. hier unsre Gerichtsferien verbracht, || in deren erster Hälfte ich tüchtig zu thun hatte. Seit Mitte September ist nun wieder mehr Leben, die Sommerreisenden zurück, politische u. kirchliche Wahlen im Anzuge. Zum Abgeordnetenhause wollten mich die hiesigen Liberalen als Gegenkandidaten gegen den konservativen Candidaten aufstellen. Ich habe aber gedankt dafür: abgesehen von der geringen Aussicht, gegen den allgemein gefürchteten Polizeipräsidenten Engelken durchzukommen, so hätte ich dieses Amt mit dem mir zugedachten neuen Amte (Mitglieda an dem Verwaltungsgerichtshofe) nicht vereinigen können; letztres scheint mir aber wichtiger für mich, zumal leicht eine definitive Stellung später daraus werden kann. Und dann riethen mir auch alle näheren Freunde davon ab, meinend, ich würde es körperlich nicht gut aushalten, u. mich dabei zu sehr abstrapaziren. – Einige Tage Unruhe machte mir die Entscheidung für die Ablehnung aber doch.

Am 9t, zu Georg’s Geburtstag, war Tante Bertha hier. Sie war wieder recht erkältet; auch ist sie magerer geworden, so daß wir um ihre Gesundheit besorgt sind. || Mutter will zum 20st auf 8 Tage zu ihr herüber fahren.

Meinem Schwager Lisco geht es auch nicht sonderlich. Er ist ca. 3 Wochen zu Hause gewesen, um seine Konfirmanden fertig zu unterrichten, u. nun nach der Kaltwasserheilanstalt in Nassau (Dr. Runge), deren Dirigent besonders tüchtig sein soll. Die Bade- und Brunnenkur in Kissingen hat ihm zwar gut gethan, aber seine Nerven sind doch noch so angegriffen, daß der Dr. verlangte, er müsse noch auf 8 Wochen Urlaub nehmen. – Von Karl habe ich keine besseren Nachrichten. Bei uns im Hause geht es sonst leidlich. Clara ist schon recht schwerfällig und hat diesmal viel Unbequemlichkeiten (Anderwo kommt das auch vor!). Sonst ist sie doch ihr Zahnweh los. Die Kinder gehen von heute ab wieder alle in die Schule, Julius ausgenommen jedes in eine höhere Klasse. Hermann ist recht munter. Nun, lieber Bruder, schreibe recht bald wie es bei Euch geht. Du mußt ja jetzt noch herrliche Muße haben. Grüße Deine Familie bestens von uns beiden u. sei selbst herzlich gegrüßt von

Deinem

Karl.

a eingef.: Mitglied; b eingef.: am 14. September

H: EHA Jena, A 35054, egh., 1 Dbl., 13,8 x 22,0 cm, 4 S., Besitzstempel.

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
13.07.1873
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35054
ID
35054