Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 29. Januar 1872

Potsdam d 29 Januar 1872

Lieber Bruder!

Eben erhalte ich Deine Notiz von der Berufung nach Strasburg. Der erste Eindruck davon ist: der arme Herr von Roggenbach hat es doch recht schwer. Alle Welt in Deutschland interessirt sich dafür, daß die neu zu begründende oder vielmehra zu erneuernde Universität als ein Hort des deutschen Wesens dort aufgebaut werde, und daß von diesem Kern das neu zu erweckende und zu verstärkende Deutschthum in den wiedergewonnenen, lang vermißten köstlichen Landen jenseits des Rheines sich anschließe und ansetze. Roggenbach beruft zu diesem Zweck eine große Anzahl Notabilitäten, denen er die besten an Anerbietungen macht, und – Einer nach dem Andern lehnt ergebenst ab, mag || er nun an einer kleinen oder an einer großen Hochschule sitzen. Das behagliche Leben in den bisherigen Verhältnissen hält sie ab, den patriotischen Schritt zu thun und etwas äußere Zier bei der hohen Aufgabe, die dort jedem Dozenten winkt, mit in den Kauf zu nehmen.

Und nun Deine speziellen Verhältnisse! Konnte denn Herr von Roggenbach wissen, daß wenn man Einen von Euch beiden Herren Professoren haben will, der Andre es auch sein muß? Unter welchen Bedingungen würdet Ihr Euch denn später doch mal trennen? Und wie steht es dann für den Zurückbleibenden? – Wenn‘s bloß daran liegt, daß Ihr den Ruf nicht gleichzeitig erhalten habt, warum sagt Ihr ihm das nicht jetzt offen? Oder geht das nicht mehr u. aus welchen Gründen hat denn Gegenbaur abgelehnt? –

All’ das geht mir im Kopfe herum und ich bitte Dich deshalb: giebt nicht zu || rasch eine abweisende Antwort. Ueberlege Dir diese Berufung zehnmal mehr als die Wiener. Muße zum Privatstudium (die Du in Wien zu verlieren hofftest) hast Du dort gewiß; einen befriedigenden Wirkungskreis würdest Du Dir mit der Zeit wohl schaffen u. an ursprünglichen Deutschen wird es in solcher Stadt doch auch nicht fehlen, wo Regierung, Landgericht u. ein Professoren-Colleg deutscher Gesinnung sich zusammenfinden. Natürlich setze ich voraus, daß Dir ein angemessenes Gehalt ausgesetzt würde; zu Reisen u. Bildung einer neuen Sammlung würde gewiß auch das Nöthige gewährt – Zu wann ist die Berufung? –

Dieser Tage las ich, wer noch in Straßburg bleibt: das ist in Deiner resp. der medizinischen Facultät: Schimper, Schützenberger, Boeckel, Aubenas, Joessel, Wieger, Strohl, Schlagdenhausen – Weißt Du auch daß ein Landgerichts Rath Dr. Schultze aus Greifswald dort ist, wohl || ein Bruder Deines Collegen?

Freut mich, daß es in Deinem Hauslazareth wieder besser geht.

Schreib bald wieder

Deinem

treuen Bruder.

Clara grüßt.

a eingef.: vielmehr;

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
29.01.1872
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35039
ID
35039