Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 9. April 1871

Potsdam 9. April 71.

Lieber Bruder!

Deinem Wunsche gemäß sende ich diese Zeilen – und noch einige Zeitungsblätter, die Dir vielleicht zur Recapitulation der Ereignisse dera letzten 8 Tage willkommen sein werden – nach Triest, mit dem Wunsche, daß Du selbst dort bald Wohl u. munter von Deinem Patmos aus ankommen mögest. Die Tagebuchblätter, die bis zum 27st reichen, haben uns sehr interessirt und durch die Schilderung der Klosterzustände auf Lesina wesentlich erheitert. Ich kann mir den Stolz Deiner Begleiter denken, als Du von Herrn Buchich u. dem würdigen Padre mit Reminiszenzen aus Deiner Schöpfungsgeschichte empfangen wurdest.

Die Nachrichten aus Jena lauten ja nun auch besser. Mit Agnes’ Gesundheit geht es langsam vorwärts und das kleine Lisbethchen soll sich ja, seit es eine Amme hat, recht erholt haben. So unangenehm es Dir sein mag, daß zu dieser Auskunft geschritten werden mußte, so ist es doch gewiß so das Richtige gewesen. Man muß in solchen Fällen doch unbedingt der ärztlichen Anordnung folgen.

Bei uns geht es gut. Wir haben einige recht gemüthliche u. erhebende Tage in der Familie durchlebt. Karl kam gestern vor 8 Tagen, im Ganzen recht munter, nach glücklicher Absolvirung seiner Examenrede über die Vaterlandsliebe, hier an. Er sitzt jetzt eifrig über dem Horaz, in dem er zum Examen zu studiren hat. Am Mittwoch wurde Hermann eingesegnet. Ritter hielt eine recht warme u. innige Rede. Am Freitag gingen wir mit den beiden ältesten zum Abendmahle. Heute ist unsres Schlupp Geburtstag. Gott erhalte ihn uns so frisch u. munter in jeder || Hinsicht wie er es jetzt ist. Nachmittags haben die Kleinen Ostereiersuchen. Morgen Abend sind Clara u. ich bei Lisco’s in Berlin. Dienstag Nachmittag soll das junge Volk von Lisco’s und Jacobi’s hier bei uns zum Besuch sein. Walter Lisco (der 2te Sohn) ist jetzt mulus und will Jura in Heidelberg studiren, Gertrud Lisco (die älteste Tochter) eben ihr Lehrerin-Examen glücklich bestanden. Hermann, der Student, hat in den letzten Wochen krank bei Döll gelegen, wird aber wohl in diesen Tagen nach Berlin kommen, um zu Hause sich vollends auszukuriren.

– Tante Bertha ist in diesen Tagen in eine interimistische Wohnung, unter Onkel Julius, gezogen, hat nun aber auch endlich eine definitive Wohnung in der Dessauerstr. No. 36, parterre, gemiethet. Sie soll recht nett sein, wie unsre Anna uns erzählt. – Am Freitag Abend waren Theodor Bleek und Frau aus Sobernheim hier bei Wolff’s in Gesellschaft u. besuchten uns vorher. Ich habe mich recht gefreut, daß sie doch beide im Ganzen frisch sind. Er ist mir ein sehr lieber, innerlich mir nahe stehender Mensch, von trefflichem Sinn und ernstem Streben in Amt u. Leben. Er hat in der Kriegszeit viel durchgemacht und ist recht rührig gewesen.

Nun wünsche ich Dir und Deinen Begleitern daß Ihr gut Wetter auf Eurer Rückreise haben möget, u. Euch an Venedig, Ober Italien und Tyrol recht erfreut.

Ade, alter lieber Junge. Clara und die Kinder grüßen mit mir.

Dein treuer Bruder

Carl.

a eingef.: Ereignisse der

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
09.04.1871
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35024
ID
35024