Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 24. August 1870
Potsdam den 24 August 1870.
Lieber Bruder!
Es ist doch gut, wenn man mal einen äußeren Anstoß zum Briefschreiben erhält. So ist es diesmal – nicht etwa das erwartete Ereigniß, das noch nicht eingetreten, aber auf dessen baldiges Eintreten wir seit Mitte des Monats hoffen, – sondern vielmehr Deine Ernennung zum Mitgliede der Münchner Akademie der Wissenschaften. Ich las dieselbe dieser Tage in der National-Zeitung u. gratulire Dir von Herzen dazu. Muttern schrieb ich es; sie hatte es überlesen und ist böse darüber, daß Du es ihr nicht gemeldet. Wie konntest Du das aber auch dem mütterlichen Herzen a anthun? –
Im Uebrigen bewegt sich jetzt, wie Du Dir wohl denken kannst, auch hier alles Sinnen u. Denken um den Krieg. Es freut mich sehr, daß || Du, nach den an Mutter gerichteten Briefen, die nationale Auffassung desselben und die Begeisterung für die hoffentliche dadurch zu Stande kommende nationale Einheit und Macht theilst u. nicht von ungesunden kosmopolitischen Ideen angekränkelt bist. Du wirst Dich ja selbst bei Deinen vielen Reisen davon überzeugt haben, daß die unerläßliche Vorbedingung auch für das wahre Gedeihen des Einzeln- und Familienlebens und der Künste u. Wissenschaften, ebenso gut wie der Gewerblichen und Handelsinteressen ein selbstständiges, von den andern Nationen geachtetes u. respektirtes nationelles Leben ist. Dies nationelle Leben ist bei uns Deutschen erst seit 1864 u. 66 zur Entwicklung gekommen und unsren Nachbarn will diese Ändrung des Bruder Michel noch nicht in den Sinn. Am wenigsten den hochmüthigen Franzosen, die gewohnt geworden sind, die Nachbarvölker zu dominiren. Diesen muß es || 2. gehörigb eingebläut werden. Eher bekommen wir keinen Frieden u. keine Ruhe. Und darum wird der Krieg auch nicht blos gegen den Abenteurer Louis, sondern ebenso sehr gegen die französische Nation selbst geführt. Sie müßen wir zur Anerkennung unserer Nationalität zwingen.
Daß in diesem Bewußtsein der Nothwendigkeit dieses Krieges Nord- u. Süddeutschland einig sind, ist wahrhaft erhebend, u. die Nachrichten über die Stimmung im Süden, über die Haltung der Süddeutschen in den bisherigen Kämpfen und über die Aufnahme der Siegesnachrichten wahrhaft erquickend.
Freilich, der Krieg zeigt uns auch jetzt seine volle ernste Seite. Wie tief einschneidend sind die Verluste, die in den letzten Schlachten so zahlreich eingetreten sind. Es ist kaum eine Familie, die davon verschont bliebe. Und gar oft, namentlich in den Offiziersfamilien sind es mehrere Trauerfälle, die sie gleichzeitig treffen. So hat General Arzt Grimm den einzigenc Sohn u. den Schwiegersohn am 18t dieses Monats vor Metz verloren; der Kommander des hiesigen Militär Waisenhauses hat einen Sohn todt, 2 schwer verwundet. Die starken Verluste des 1t Garde-Regiments an Offizieren am 18t || greifen aufs Schmerzlichste in viele hiesige Familien ein. Von unsern Bekannten sind namentlich Richters betroffen; 2 von den Neffen von ihr, der Richter, sind gefallen. Oft liegt einem die Schwere und der Ernst der Zeiten recht in den Gliedern, zumal mir, der ich außerdem durch eine dicke Civile Relation, die mich die ganzen Ferien über in Anspruch nimmt, oft verstimmt bin u. auch dann noch die Erwartung des häuslichen Ereignisses lastet. Clara geht es übrigens gut, wenn auch sehr schwerfällig seit Wochen schon. Auch die Kinder sind munter. Carl hat auch für Dich einen längeren Brief gesandt, den ich Dir gebe, sobald Du kommst, es geht im Ganzen recht gut mit ihm.d Thue dies nur bald. Solltest Du abere dabei auf die Berliner Kunstausstellung reflektiren, so übersieh nicht, daß dieselbe erst am 18 Septbr cr. beginnt. (cf National Zeitung 393 2tes Beiblatt)
Eine Amerikanische Kritik im Auszuge las ich neulich in einer No 26. des Magazins für Literatur des Auslands vom 25/6 cr.; sie wird Dich interessiren, wenn sie auch gegen Deine Auffassung polemisirt.
Grüße Frau und Walterchen schön
von Deinem treuen Bruder
C. Haeckel.
a irrtüml. doppelt: auch; b eingef.: gehörig; c eingef.: einzigen; d mit Einfügungszeichen eingef.: es geht im Ganzen recht gut mit ihm.; e eingef.: aber