Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 6. Juli 1870
Potsdam d. 6 Juli |1870.
Lieber Ernst!
Dank für Brief u. Sendung der Schöpfungsgeschichte. Ich habe das Exemplar für den alten Schlicht ohne Bedenken abgegeben. Du mußtest Dich nothwendig revangiren, und da kommt es gar nicht weiter darauf an, ob er an dieser oder jener Stelle des Buches Anstoß findet. Ich bin überzeugt, es wird ihn das Buch vielfach interessiren. Leider fand ich ihn nicht, doch hoffe ich, ihn nächstens zu sprechen. Da Du mit Freiexemplaren knapp bist, so haben Mutter und ich beschlossen, uns mit einem gemeinschaftlichen zu begnügen (das ich jetzt binden lasse u. in das Dein sehr gut gelungenes photographisches Porträt hinein kommt) und Dir das von Reimer an Mutter geschickte zur Disposition zu stellen. Es steht auf demselben nur „Vom Verfasser“, von Reimer’s Hand geschrieben, Du kannst es also beliebig verwenden.
Nochmals meinen besten Dank für das Buch, das ich vorigen Freitag in unsrer „Sommerliteraria“ || (einem kleineren Kreise von Literariabekannten, der vorzugsweise aus Lehrern besteht u. in den Sommermonaten sich versammelt, um nicht außer Connex zu kommen) als Novität vorgelegt habe. An demselben Abend theilte mir Ober Lehrer Seelmann (der Michaelis nach seiner Vaterstadt Dessau versetzt wird, derselbe, der Deine Schöpfungsgeschichte eifrig studirt hat) den Quahl-Necrolog von Lehmann über Schleicher auszugsweise mit. Es entspann sich in Folge dessen ein interessantes Gespräch über Schleicher’s Grundauffassung der Sprache.
Mutter’s Geburtstag, zu dem ich ihr Deine Sendung richtig behändigt habe, haben wir hier mit den Ältern sehr nett gefeiert. Sie waren von 11-½ 7 Uhr mit uns zusammen. Am Vormittag fuhr ich mit Vater ein Stück nach Templin zu; er erfreute sich sehr an der alten bekannten Landschaft, der Kutscher mußte noch besonders nach dem alten Tornow abbiegen, wo Vater oft gewesen ist. Eine Ausfahrt am Nachmittag nach dem neuen Palais wurde uns durch einen starken Gewitterregen unterwegs vereitelt, so daß wir || umkehren mußten. Mutter freute sich recht über unsere Wohnung, Garten (in dem wir diesmal eine rechte Kirschenärndte halten) und diea Kinder.
Sonntag Nachmittag war Onkel Müller hier, der kürzlich seine Badekur in Wiesbaden und Wildbad (wohin er mehr aus Dankbarkeit gegangen) beendet hat. Von Sonnabend ab haben wir auf 3-4 Tage Besuch von Helene Jacobi, deren Mann hier zum Schwurgericht ist. Die Armen haben an ihrem Annchen einen recht schweren Verlust erlitten, der dem ganzen Hause einen andren Zuschnitt und Charakter geben wird.
Clara ist munter, doch schon recht schwerfällig, steht aber noch wacker allem vor im Hause. Sie und die Kinder grüßen schön und ich wünsche mit Clara Deiner Agnes bald bessere Tage als bisher. Dies Übelkeitsstadium ist doch das unangenehmste.
Von Carl lauten die Nachrichten wechselnd, vor 14 Tagen hat er eine ähnliche schwere Periode gehabt, wie hier zuletzt. Doch || ist sie vorüber u. die gestrige Nachricht lautete besser. Es wird lange dauern, ehe sich nur einige wesentliche Besserung einstellt. Daß Du ihn besuchen willst, freut mich sehr. Also muß doch gereist werden im Herbst?! –
Von wegen Deines Famulus nimm mein aufrichtiges Bedauern hin. Kannst Du den Halunken nicht in die Hände des Staatsanwalts liefern? –
Nun zuletzt noch eine Bitte: Agnes hat gewiß ein Rezept zu Thüringer Kirschpfanne. Clara bittet sehr darum ihr dasselbe bald zukommen zu lassen.
Ade, wünsche uns bessres Wetter zu den am Ende der Woche beginnenden Schulferien. Ich will gern Exkursionen in der Umgegend mit den Jungens machen.
Dein
treuer Bruder Carl.
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