Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 27. März 1870
Potsdam 27 Maerz 1870.
Lieber Bruder!
Lang schon hätte ich Dir schreiben sollen. Du wirst von Mutter zwar wohl immer auch über unser Haus gehört haben, aber es drängt mich, Dir doch direkt zu sagen, welchen innigen Antheil wir an dem traurigen Ende Deiner Schwägerin und der dadurch über das Huschke’sche Haus gekommenen Trauer nehmen. Die Dahingeschiedene ist, wie die Dinge nun einmal lagen, wegen des raschen Todes nicht zu beklagen − wir haben es ja hier jetzt vor Augen, welch eine Qual ein langsames Dahinscheiden an unheilbarer Krankheit ist – aber für die Zurückbleibenden ist ein solch jäher Tod in der Ferne unter solchen Umständen doch recht schwer und schmerzlich. Das fühllose Benehmen der nächsten Umgebung, in der sie lebte, ist mir ganz unerklärlich. ||
Ich war gestern in Berlin. Mit unserm lieben Alten geht es doch recht bergab. Die körperlichen u. geistigen Kräfte lassen mehr u. mehr nach, u. namentlich letzters ist für Mutter recht schwer zu ertragen. Mutter selbst fand ich munter. Beide freuen sich immer recht, wenn ich komme. Richte Dich nur so ein, daß Du etliche Tage drüber bleiben kannst, wenn du kannst. Der Aeltern wegen würde ich Dir zurathen, bald zu kommen. Aber auf der andern Seite muß ich wieder wünschen, daß Du Dich mit dem Arbeiten nicht so sehr übernimmst und Dir nicht zu viel bietest. Das ist nicht Recht. Du mußt an Frau und Kind denken u. Dich mehr schonen, altes Bruderherz. Sonst freue ich mich recht darüber, daß es Euch so gut geht u. daß die Arbeit Dir so viel Freude macht.
Bei uns ist außer unserm schwer kranken Neffen, mit dem es sichtlich zur Neige geht, viel kleines Hauskreuz, bald hat dieses, bald jenes der Kinder eine Erkältung oder Magenverstimmung. || Mieze geht seit Sonnabend wieder in der Schule, dagegen hat sich Georg gelegt, u. Julius, so wie meine Frau sind auch erkältet. Unser Leben ist im allgemeinen recht ruhig u. zurückgezogen, wir kommen nur selten aus. Aber wir sind sehr glücklich in unserm häuslichen Leben, das sich je länger, je schöner gestaltet. Mit Karl geht es doch so, daß er am 10. April konfirmirt werden kann. Seine Stimmung ist wechselnd, oft melancholisch, mit trüber Anschauung der eignen Zukunft verbunden. Wenn ich ihn fortgebe, wird es doch am besten sein, ihn zu einem Arzt, rsp in eine passende Anstalt zu geben. Alle andern Pläne scheitern an der Ungeeignetheit der Persönlichkeiten. Quinke und Laehr sind sich jetzt über diesen Punkt einig. Höre Dich doch auch mal nach einem passenden Arzt für Nerven Kranke um.
Wenn Du kannst, bedenke uns hier nicht zu stiefmütterlich. Empfiehl mich || Deiner Schwiegermutter u. versichere sie meiner Theilnahme. Ihr beiden lieben Leute Du und Deine Agnes, seid herzlichst gegrüßt von meiner Frau u.
Deinem
treuen Bruder
C Haeckel
N. B. Hast Du Dir nicht einige Separatabzüge von dem Aufsatz über die Pic-Besteigung machen lassen? ‒