Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Landsberg an der Warthe, 18. März 1868

Landsberg d. 18 März | 1868.

Lieber Bruder!

Mutter hat mir Deine letzten Briefe mitgetheilt. Wie habe ich mich einerseits über die frohe Hoffnung, die Du für den Herbst hast gefreut, andrerseits den jetzigen Zustand an Agnes bedauert. Doch es scheint ja nach dem letzten Briefe, daß sich ihr Zustand bessert. Ein schönes Frühjahr wird dazu gewiß das seinige beigetragen.

Du hast nun wieder Deine Ferien-Muße und sitzest gewiß dick in den Arbeiten. Schreibe mir doch einmal darüber. Kommst Du nun an die Reisebeschreibung?? Vergiß sie nicht. – Ist der Reisebericht von Dr. Greef erschienen? – Was machen Deine Vorträge für die Virchow’sche Sammlung? – Werden sie noch erscheinen? Oder beanstandet Virchow sie wegen der zu weit ausgesponnenen Hypothese? ‒ Was ist aus der nach Holland gesendeten Arbeit geworden? Woran sitzest Du jetzt? – All das || möchte ich gerne wissen... Hier hielt einer der Oberlehrer vor 3 Wochen einen Vortrag über den Ursprung des Menschengeschlechts. Er gab erst einen Ueberblick über Darwin’s Hypothese, dann eine Kritik. Dein Buch hatte er dazu gelesen u. die Uebersetzung von Darwin‘s Werk. Er anerkannte die Wichtigkeit der Darwin’schen Forschungen, meinte aber doch schließlich, es fehlten bei der thatsächlichen Feststellung zu viele Mittelglieder für die von Darwin’s Anhängern (auch des schwärmerischen Professors in Jena gedachte er dabei) gezogenen Konsequenzen. Die paläontologischen Beweismittel ließen dabei vielfach im Stiche. Daß Darwin’s Grundanschauung mehr u. mehr Eingang unter den Fachgelehrten findet, und sie nur von manchen Folgerungen, für die die Prämissen ihnen nicht genügen, nichts wissen wollen, ließ der Vortrag deutlich durchblicken.

Mir ist es in den letzten Wochen || nicht sonderlich gegangen. Die Versetzungsfrage und der Plan mit A. . haben mir viel Unruhe gemacht. Den letzteren habe ich leider aufgeben müssen. Ich habe mich vergewissert, daß in ihrem Gesundheitszustande nach ihrer eignen Ansicht ein unüberwindliches Hinderniß vorliegt. Damit sind die schönen Träume, in die ich mich betreffs der Zukunft gewiegt, zerstoben. Nach Frankfurt und Stettin konnte ich mich melden; beides habe ich unterlassen. Daß ich auf ersteres nicht reflektirt habe, thut mir jetzt Leid. Ich glaube, die Kollisionen, die dort entstehen können, lassen sich auch überwinden, u. ich hätte doch bei meiner innerlich isolirten Stellung eher Gelegenheit zu befriedigendem Umgang. Frau Oberheim wäre gern mit hin gegangen. Kommt diese Gelegenheit wieder, wie es immer balda möglich ist, so werde ich sie wohl nicht vorbeigehen lassen. Frankfurt ist doch immer eine Stadt in der mehr geistiger || Verkehr ist als hier, u. dennoch sehne ich mich als Ersatz für das, was ich im Hause so sehr entbehre.

Die Kinder sind munter, klein Julius ist jetzt sehr wohlauf, läuft und prapelt niedlich. Mit Karl geht es auch besser. Beim letzten Wiegen hatte er in 4 Wochen ein [Pfund] zugenommen.

Ostern denke ich Frau Oberheim mit der ganzen Gesellschaft nach Berlin auf 14 Tage gehen zu lassen. Ich selber werde auf 3-4 Tage hinüberfahren. Daß ich mich mit den Berlinern so leicht sehen kann, ist mir in der in dieser Zeit ein rechter Trost gewesen. 2 mal war ich an einem Sonntag drüben. Letzten Sonntag waren Tante Bertha und Heinrich dort.

Ade, alter Junge, grüß sodann Agnes und Gegenbauer und schreibe bald

Deinem

Karl

Sehr Leid hat mir Petzolds Schicksal gethan, über Prof. Max Schulze’s Verlobung ist in Bonn große Freude.b Denk Dir, Johannes Bleek in Winterberg hat neulich auch etwas Blut gespuckt. Es ist doch zu traurig dran in der Bleekschen Familie.c

a eingef.: bald; b weiter am Rand v. S. 4: Sehr Leid hat...Bonn große Freude.; c weiter am Rand v. S. 3: Denk Dir, Johannes...der Bleekschen Familie.

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
18.03.1868
Entstehungsort
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 34986
ID
34986