Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Landsberg an der Warthe, 6. Februar 1868

Landsberg a/W

den 6 Febr. 68

Lieber Ernst!

Viel lieber spräche ich Dich, als daß ich schriebe. Es drückt mich wieder, eine Entscheidung zu finden betreffs meiner Zukunft. Schon vor 14 Tagen, als ich Sonntags in Frankfurt war, trat die Frage an mich heran: ob sich zu einer Kreisrichter-Stelle in Frankfurt melden oder nicht? Damals wurde ich eher mit mir einig: Nein zu sagen. Es sprach so manches dagegen. Diesmal ist es eine Stelle am Kreisgericht in Berlin, die vakant geworden. Als ich Sonntag, um mich mal auf einige Stunden auszuplaudern, dort bin erfahre ich diese Vakanz zufällig und nun geht mir die Sache sehr im Kopf herum, mehr als früher die Frankfurter Stelle.

Du weißt, ich bin früher nie für eine Versetzung nach Berlin gewesen. Das Leben in einer Mittelstadt sagt mir mehr zu; ich finde die Erziehung für heranwachsende Kinder in einer solchen ihnen zuträglicher als in der großen Residenz und dann – der Kostenpunkt, das theure Leben. Ueber Letzteren würden mir nun zwar die Angehörigen || hinweghelfen, wenigstens für die nächste Zeit. Den Aeltern u. Tanten würde ich eine große Freude damit machen und amtlich würde ich mir [!] wohl keinesfalls verschlechtern, immer die Annehmlichkeit eines besseren Direktors haben. N. B. Ich würde dort dasselbe Gehalt haben wir hier u. dieselben Avancementsaussichten. Beim Stadtrath kann ich nicht einrücken, dort würde ich noch schlechter stehen als hier.a

Aber wenn ich in derselben Stellung für immer bleibe, wenn ich nicht ein Richteramt mit Einkünften oder eine andere bessere Stellung erlange, so ist doch für die Dauer der Kostenpunkt sehr zum Nachtheil und ich könnte doch gewiß mit dem was ich dort mehr brauche, in der Provinz ganz anders und angenehmer leben, u. dafür auchb öfters zu den Aeltern reisen. Und dann die Erziehung der Kinder. Ja, müßte ich hin, natürlich ginge ich ohne Bedenken. Aber so: die Kinder von freien Stücken in eine Lage versetzen, die nach meinem Dafürhalten ihnen weniger zuträglich ist für ihre ganze Entwicklung, als diejenige in einer Provinzialstadt?

Es wird mir wirklich recht, recht schwer einen Entschluß zu fassen. Ich verkenne ja nicht, daß der Aufenthalt in Berlin für || mich in vieler Beziehung anregender u. angenehmer sein würde, daß es dort leichter ist, in andre Stellungen hinein zu gelangen. Aber wer kann mir dergleichen zusichern? u. ist es für mich überhaupt gerathen, noch eine andre Karriere einzuschlagen? –

Zu dem allen kommt, daß der Entschluß, c wieder ein eheliches Verhältniß einzugehen, in mir immer fester geworden u. ich auch über die Person mit mir ziemlichd einig bin. Ja, wäre dieser Punkt schon entschieden, dann wäre auch der andre leichter zu entscheiden. Sie müßte mit den Ausschlag geben, u. da denke ich, sie würde meiner Ansicht sein.

Wozu schreibe ich Dir nun alles das? Was Du mir rathen wirst, ich weiß es nach Deinen früheren Äußerungen im Voraus. Du wirst mir schreiben: gehe nicht hin! – Und doch möchte ich nicht, ohne Dich zu hören, mich entscheiden. Es kommt mir wieder wie ein Unrecht gegen die Aeltern vor. Findest Du, daß dieser Grund so überragend ist, daß ich doch hingehe, ume dem lieben Alten in seinen letzten Lebenstagen || mit den Kindern näher zu sein, und daßf dieser Grund durchschlagen muß, so sage ich Ja. – N.B. Heinrich, Helene, August riethen mehr ab. Tante Bertha u. Mutter hoben recht die Gründe dafür hervor, überließen aber mir, ohne zuzureden, die Entscheidung – wie es denn ja auch sein muß.

Wüßte ich bestimmt, daß ich dadurch noch eine bessere Karriere machte, so würde ich die Stellung jetzt annehmen u. als Durchgangspunkt betrachten. Aber so? – Ich habe dies Selbstvertrauen zu mir nicht, daß ich zu was Andrem passe. – und überhaupt steht uns in einigen Jahren eine Reorganisation bevor. Fort von hier wünsche ich allerdings bald, um aus diesem mir entschieden nachtheiligen Dienst-Verhältnisse herauszukommen. – Ich denke dabei namentlich an Orte wie Sorau u. Guben, u. hoffe auf eine Vakanz am ersteren Orte. –

Nun, schreibe mir umgehend Deine Meinung u. beantworte mir zugleich die Anlage.

Grüß Deine Agnes; u. sie solle nicht zu übermüthig werden durch deinen Rosen-Triumph. Was sagst Du dazu daß Darwin korrespondierendes Mitglied der Berliner Akademie geworden ist?

Dein Karl.

Karl fragt, ob er nicht Morgenschuhe bei Dir hat stehen lassen u. ein Paar Schnürstiefel?g

Ist es wahr daß Eure Bertha geht?

a am Rand eingef.: N. B. Ich würde dort...stehen als hier.; b eingef.: dafür auch; c gestr.: mir; d eingef.: ziemlich; e korr. aus: und; f korr. aus: dem; g weiter am Rand v. S. 4: Karl fragt, ob...ein Paar Schnürstiefel?; h weiter am Rand v. S. 3: Ist es wahr daß Eure Bertha geht?

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
06.02.1868
Entstehungsort
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 34984
ID
34984