Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Landsberg an der Warthe, 14. Juli 1866

Landsberg den 14. 7. 66.

Lieber Ernst!

Auf die Gefahr hin, den Brief zu einem doppelten zu machen, füge ich noch einige Zeilen für Dich bei. Glaube nicht, daß wir, die wir jetzt für rückhaltlose Unterstützung der Bismarck’schen äußeren Politik sind, damit unsre liberalen Ansichten u. Grundsätze aufgegeben haben. Nicht der Rausch der Siegesnachrichten, sondern die ruhige Erwägung der Thatsachen u. Verhältnisse heißt jeden, der nicht mir Dir nach Amerika auswandern u. die Zukunft Deutschland’s aufgeben will, so denken u. handeln. Jetzt heißt es: Preußen’s Selbständigkeit und Deutschland’s Einheit erringen, u. gegen die in der Ferne die Faust machenden, uns beides mißgönnenden Mächte einmüthig Front machen; da müssen alle andern Rücksichten schweigen, wo es sich um die Existenz des Ganzen handelt. Die Wünsche für den Ausbau der inneren Freiheit müssen vertagt werden. Hoffentlich sieht Bismarck, trotz der unrichtigen Bahnen, die er im Innern eingeschlagen hat, ein, daß er einen kräftigen Halt in der eignen Position bekommt, wenn er sich auf das Volk beruft u. dies ihm zur Seite steht. Daß er die Bedeutung dieses Faktors kennt, beweist, daß er schon in den Jahren 1859 u. 61, bevor er ans Ruder kam, in Streitschriften als nothwendige Bedingung einer deutschen Reform die Berufung eines Parlaments anerkannt u. es selbst verlangt hat. Daß a nüchterne, staatsmännische Persönlichkeiten jetzt mit ihm, trotz der sonst abweichenden Ansichten über innere Politik, Hand in Hand gehen wollen, − wie Roggenbach in seinem Briefe vom 1 Juli (National Zeitung No. 321), die Stimme der schwäbischen Volkszeitung, die Rede Kinkels in London (beides in No. 323), beweist, daß gemäßigt Liberale, wie strenge Demokraten, b diesen Weg jetzt für den allein richtigen halten. Ich finde es natürlich, u. es ist mir u. andern selbst schwer geworden, den Widerstand gegen die innere Politik der Regierung zeitweise bei Seite zu setzen und sich diese Nothwendigkeit eingestehen zu müssen. Aber es ist gewiß richtiger, daß man dies thut, als daß man starr an seiner Theorie festhält und damit doch nichts durchsetzt. Die liberale Partei würde im Volke allen Halt || verlieren und sich selbst ruiniren, thäte sie das. Sie handelte aber auch gewissenlos gegen den Staat. –

Eben ist der junge Koppe (kürzlich als Freiwilliger bei den Dragonern eingetreten) hier gewesen, er erzählte uns, daß Karl wieder (zum 3ten Male) eingezogen sei u. daß das zweite Aufgebot bis zum Jahrgang 1850 zurück eingezogen werde. Nun, Gott gebe dem Allen einen glücklichen Ausgang. Wenn nur nicht alle diesec Anstrengungen ohne den gewünschten Erfolg gemacht werden! –

Ade, nächstens schreibt Hermann mit. Heute würde es zu viel.

Dein Karl.

a gestr.: arme; b gestr.: durch; c eingef.: diese

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
14.07.1866
Entstehungsort
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 34977
ID
34977