Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Landsberg an der Warthe, 22. Januar 1865

Landsberg a/W den 22 Januar 1865.

Lieber Ernst!

Ich muß doch mal wieder mit Dir, über Berlin, plaudern; nachdem zwei Deiner Briefe noch dorthin und einer für uns in specie hierher gelangt sind. Zu der neuen Entdeckung an der Meduse von Villafranka gratulire ich bestens; kannst Du denn auch uns Laien nicht andeuten, worin diese Entdeckung besteht u. welches neue ausgezeichnete Organ oder welche Struktur Du an ihr gefunden hast? – Nicht minder kannst Du aber froh sein, daß es mit dem ganzen Diebssprung so glücklich abgelaufen ist. Nimm Dir’s ad notam und mache weder selbst solche Sprünge ohne die nöthige Hülfe, noch laß sie andere ohne diese machen, wenn Du die Leitung hast. Ich habe den Fall sogleich meinem Freunde Frege zur Warnung mitgetheilt. – Dann habe ich mich sehr über die Ankunft der Gorilla-Familie und das Aufsehn, das sie macht amüsirt. Es ist wahr, die kleinen Kinder haben entschieden etwas Affenähnliches: Mimmi beehrte unseren Georg alsbald mit dem Titel eines Gorilla. Die Jungen haben gerad in der letzteren Zeit in den du Chaillon’schen Reiseberichten viel von diesen Biestern gelesen und dort auch Abbildungen von ihnen, die im Poeppig (der sonst sehr gut ist) noch fehlen, weil dieser „Onkel“ damals noch nicht bekannt war. ||

Hier haben wir, seit ich von Berlin zurück bin, bei den Kindern manche Erkältung durchzumachen gehabt – bei dem raschen Witterungs-Wechsel in den letzten Wochen kein Wunder.

Karl hat 14 Tage geschwollener Drüsen wegen einsitzen müssen und mußte geschnitten werden. Seit 8 Tagen geht er wieder zur Schule. Die sonst so liebenswürdige Mieze ist übrigens hier merkwürdig eigensinnig, so daß der Starrkopf oft durch ernste Züchtigung gebrochen werden muß.

Mein amtlicher Geschäftskreis hat sich seit Neujahr auch verändert. Ich habe eine der beiden Bagatellkommissionen bekommen, eine juristisch ganz instructivea Stellung, und dabei den Vortheil, mit „Ihm“ noch weniger als bisher zu thun zu haben. Dieser letztre Umstand wiegt schon den Nachtheil auf, daß mir die frühere Beschäftigung im Ganzen doch angenehmer war. Ich entscheide nicht gern Lappalien, wenn sie auch juristisch interessant sein mögen. Ob ich mehr oder weniger als bisher zu thun haben werde, läßt sich noch nicht übersehen. Für mich beschäftige ich mich jetzt mit Reuchlins italienischer Geschichte, das Buch ist recht anziehend geschrieben, wenn es sich auch nicht grade rasch wegliest. Die Schilderung der einzelnen Volksstämme ist vortrefflich. Selten ist doch ein Volk so sy-||stematisch mißregiert worden wie das italienische nach 1815, mit wenigen Ausnahmen; u. ein Wunder ist es, wie rasch es nun schließlich zum Einheitsstaat gelangt ist, nachdem die Patrioten früher immer nur auf einen Bundesstaat gehofft hatten. Piemont ist zweifellos das Vorbild für Preußen’s Zukunft. Freilich eines anderen Preußens, als das jetzige ist. (dort war es aber in den 20r und 30r Jahren auch nicht besser als bei uns jetzt). –

Was übrigens Italien betrifft, so muß man wünschen, daß auch nach Verlegung der Hauptstadt der Einfluß der Piemontesen in der Regierung der vorherrschende bleibt; es ist doch der einzige recht gesunde und charaktervolle Volksstamm. Der Florentiner mag feiner gebildet sein; ist aber zu schlaff. Erst wenn Italien Jahrzehnte hindurch ein gesundes politisches Leben gehabt hat werden die anderen Volksstämme allmählich gesunden. Mit Recht kann man in Frage stellen, ob eine Verlegung des Regierungssitzes nach Rom überhaupt zu müssen ist. Jedenfalls nicht, wenn der Papst, auch nur als ein rein geistliches Kirchenoberhaupt, dort bleibt. Die schlauen Priester möchten dann leicht b auf die weltliche Regierung einen || nachtheiligen Einfluß erlangen.

Für unsre innre Entwicklung hoffe ich von dem jetzigen Landtage nichts. Der Zwiespalt wird nur noch größer werden.

Mit Mimmi zusammen lese ich Seydelmann’s Leben von Roetscher. Biographien haben mich immer angezogen, zumal von Persönlichkeiten, die etwas Ganzes aus sich gemacht haben u. manchen sauren Weg haben gehen müssen, um mit ihrem entschiedenen Talent für einen bestimmten Beruf zur Geltung zu gelangen. – Die Pläne, die Einrichtung der neuen Wohnung betreffend, beschäftigen uns viel. Es ist Aussicht dazu vorhanden, daß wir eine geräumige Veranda erhalten.

Nun ade alter lieber Bruder. Deinem Wunsche zum 16t kommenden Monats Dir nicht zu schreiben, werde ich nachkommen, aber desto mehr an Dich denken. Mimmi grüßt schön.

Dein Karl

a korr. aus: Instructive; b gestr.: einmal

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
22.01.1865
Entstehungsort
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 34968
ID
34968