Ich stecke jetzt mit allem Sinnen und Denken so sehr in der Tagespolitik und dem hiesigen öffentlichen Leben drin, daß ich zu nichts anderem Vernünftigem, außer den nöthigen Arbeiten komme. Am vorigen Sonnabend hatten wir hier eine größere Versammlung. Einem geschichtlichen Vortrage eines hiesigen Oberlehrers (vertriebenen Schleswig-Holsteiners) folgten Ansprachen von Dr. Haber u. namentlich eine sehr warme von Dr. Boerner, die zu Sammlungen für Schleswig-Holstein aufforderten. Ich bin mit in das Komité hineingekommen u. wir arbeiten nun los, trotz dem Frankfurter Beschluß v. 7t dieses Monats. Wahrlich, schlimmer konnten die Sachen dort nicht ausschlagen. Die Exekution ist nicht Fisch noch Fleisch, u. man fragt sich: wozu die jetzt noch? – Unwillkührlich argwöhnt man, daß sie nur dazu dienen solle, || der nationalen Bewegung einen Riegel vorzuschieben. Das bringen nur unsre Junker fertig; in Süddeutschland sind erfreulicherweise selbst die Reform Vereiner mit den übrigen in dieser Sache sich einig. Bei uns ziehen die nationalen Gefühle über die Empfindungen und das Denkvermögen eines a Feudalen so hinaus, daß ihm in seiner Verblendetheit jedes Verständniß für die Bewegung fehlt. Es ist ein wahrer Jammer, wenn man die allgemeine prächtige Stimmung im Volke betrachtet und daneben die dem widerstrebenden Regierungsmaaßregeln.
Ich hätte Dir gern noch über Deinen Heringsdorfer Auftritt geschrieben, aber ich bin jetzt nicht in der Stimmung dazu. Meines Erachtens hast Du in der Form Deines Auftretens gefehlt u. nicht den rechten Standpunkt eingehalten u. solltest dafür einen Schritt zur Versöhnung thun. Ueberleg Dir das mal.
Dein
Karl.
Hast Du gelesen, daß Richter am 3 Dezember Vater eines Jungen geworden ist.
Haeckel, Karl an Haeckel, Ernst; Landsberg a. d. W. (Gorzów Wielkopolski); 10.12.1863; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_34959