Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Landsberg an der Warthe, 21. Mai 1863

Landsberg a/W d. 21/5 63.

Lieber Ernst!

Es wird nun die höchste Zeit, daß ich Dir die Karte schicke, sonst ist Pfingsten da, und Ihr ohne dieselbe auf der Reise. Ich will nicht mit Lamentationen wie meine Frau, deren Brief ich eben gelesen, der von rebus domesticis in eigentlichstem Sinne wimmelt, beginnen; aber darin bin ich jetzt mit ihr in gleicher Stimmung, daß ich ein gründliches Heimweh nach Freienwalde habe. Und das sowohl nach den Menschen, als nach der Gegend. Oberflächlich bekannt wird man zwar rasch mit einer Menge Leuten; aber der nähere, innerlich befriedigende Verkehr findet sich erst allmählig und wird noch lange von uns vermißt werden. Die Gegend ging im Winter weit eher an; man vermißte den Wald nicht so. Jetzt als das erste frische Grün heraus brach, wurde mir dagegen ordentlich bange ums Herz; ich mußte in den Wald. Der ist nun aber mindestens 5/4 Meilen von hier entfernt. So kam ich denn, nachdem ich am Himmelfahrtstage vergeblich angesetzt hatte u. wegen unsicheren Wetters mit || meinem Genossen weder umgekehrt war, erst am letzten Sonntag dazu, und bin von dem Ergebniß recht befriedigt. Wenigstens habe ich einen freundlichen See, theilweise mit Laubwald, sonst mit Nadelwald umgeben, ein nettes kleines durch Wald u. Wiese dahin schleichendes Flüßchen und eine sehr schöne Buchen Partie, die sich ca. ½ Stunde langa an letzterem in zum Theil recht unbedeutenden Bergabhängen hinzog, gefunden. Aber die Partie kostete doch einen Tag u. dabei fuhren wir nach 3 Meilen per Bahn zurück. Auf ½ Tag kann man ohne zu fahren, kaum einen solchen Ausflug machen.

Das Turnen ist hier recht auf dem Damm, ich gehe fast regelmäßig hier und bin auch in einer Kommission zur Erbauung einer Turnhalle, die hoffentlich unter Beihülfe der Stadt zu Stande kommt. Ich turne mit netten Leuten zusammen in einer Riege, einem Arzt, dem Bürgermeister, zwei Lehrern, einigen Kaufleuten. Nächstens soll die unvermeidliche Fahnenweihe sein.

Wie denkst Du denn nun über die Reise nach Jena, die mir Vater schenken will? || Mehr als 3 Wochen Urlaub werde ich nicht gut bekommen. Nun fragt sich ob vom 21 Juli bis 10 August, oder ob später die 2te Hälfte der Ferien. Ich denke, jedenfalls ersteres. Dann ginge ich erst zu Dir und nähme das Turnfest, das, so viel ich weiß, in den ersten Tagen des August ist, auf dem Rückwege mit. Zur Hochzeit nach Potsdam komme ich vielleicht. Aber erschrecklich leid thut es mir, daß Mimmi nicht fortkommt u. das war bis war anfangs auch ein Grund, lieber gar nicht zu reisen. Wenn Vater nicht die Reise gäbe, könnte ich auch nicht.

Euer Ausflug nach Schwarzburg muß reitzend gewesen sein. Es ist das aber auch ein ganz besonders schönes Thal, das sich leider meiner Mimmi nicht habe zeigen können.

In politicis sieht es so trist aus, wie es nur kann. Bismark u. Consorten werden den Karren wohl gründlich in den Dreck reiten, u. das arme Volk nachher mit darunter leiden, wenn jene uns den Krieg auf den Hals geladen haben. Der letzte Kammerscandal von v. Bismarck kommt mir vor, wie das Benehmen eines || Corpsburschen, der die Gelegenheit vom Zaun bricht um Händel zu bekommen, und wenn nichts sich bietet, aus heiterem Himmel seinen „dummen Jungen“ dem andern an den Kopf wirft. So betrübt bin ich aber immer noch nicht, lieber Bruder, daß ich wünsche, kein Preuße zu sein.

Dieser Kampf mit den Feudalen mußte einmal durchgemacht werden u. es wird sicherlich auch wieder anders kommen. Nun ade, schreibe mir bald, ob Du mit der Zeit meines Kommens einverstanden bist. Auf dem Hin- oder Rückweg wollte ich gern Rüts in Zeitz besuchen. Kommt Krukenberg etwa auch in den Ferien nach Jena?

Dir und Deiner Holden den herzlichsten Gruß von Eurem

Karl.

Diesmal kannst Du das Porto tragen. Schreibe mir doch wie viel es gemacht hat.

a eingef.: lang

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
21.05.1863
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 34952
ID
34952