Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 15. Februar 1862

Berlin 15/2 62.

Lieber alter Junge!

Nicht in der Stimmung u. Fassung, Dir einen langen Glückwunsch-Salm zu schreiben, fasse ich alles in die bedeutungsvollen Worte: Professur und Hochzeit zusammen. Ich weiß nicht, ob bei dem beständigen Wechsel zwischen „himmelhoch jauchzend“ „und zum Tode betrübt“ Du Dich beim Lesen dieser Zeilen gerade in dem einen oder dem andern Zustande befindest, wünsche Dir aber als Drittes nicht blos fürs neue Jahr, sondern für alle Zukunft ein Vorherrschen der mittleren Temperatur (um nicht mich des ominösen Ausdrucks „angenehmen T.“ zu bedienen), und hoffe, daß Du bei dieser auch mit Geduld der Erfüllung der ersten beiden Wünsche harren und den Jammer über die aufzugebende Idillen-Wohnung verschmerzen wirst. – Schaffe nur, ohne Dich zu übernehmen, an Deinem Werke und siehe zu, daß Du bald das Deinige fertig gethan hast, um die ersten beiden Wünsche zu befriedigen. Die „mittlere Temperatur“ wird sich, denke ich, nach ein Paar Jahren ehelichen || Lebens von selbst einstellen.

Wie’s in No 4 Hafenplatz aussieht, kann ich Dir in diesem Augenblick aus eigner Anschauung nicht sagen. Ich bin erst gestern Abend spät gekommen u. gehe nach Beendigung dieser Zeilen in das Abgeordneten Haus, um den 2ten Theil der churhessischen Debatte anzuhören. Eben habe ich die treffliche Twesten’sche Rede gelesen. Ob aber all das entschiedene Auftreten der Kammer etwas helfen wird? Von oben geschieht doch am Ende nichts Ordentliches, wieder nur Halbes, − wir müßten denn durch den Strom der Ereignisse in das Fahrwasser des Handelns hineingerissen werden.

Bei mir zu Hause sieht es im Ganzen gut aus. In den kalten Tagen fehlte es sehr an der „angenehmen“ Temperatur in den Stuben, so daß Aeltern und Kinder sich um den Ofen drängten um früh bei +8°, Mittags bei +11° es nur auszuhalten, u. doch alles den Schnupfen bekam. Ich hatte es noch am Besten, ich konnte nach dem Gerichte retiriren. ||

Wenn vor Weihnachten die Wahlen, so ist es seit Neujahr unsre höhere Knabenschule, die mich außerordentlich vollständig in Anspruch genommen hat. Loewe geht zu Ostern ab, die Schule drohte einzugehen, da bildete sich in 8–14 Tagen eine Gesellschaft zur Erhaltung u. Hebung der Schule, die auf 5 Jahre die nöthigen Zuschüsse zum Schulgelde garantirt. Ich wurde in den Verwaltungsrath gewählt. Wir hatten Statuten zu fabriziren, den Vorsteher u. die Lehrer auszuwählen. Gestern haben wir das Geschäft – das bei dem Eingang von c. 70 Gesuchen auf unser öffentliches Ausschreiben zu den 4 Stellen kein geringes war – vollendet, a Vorsteher wird ein Dr. Kopp aus Greiffenberg i/Pommern, eine tüchtige und einsichtsvolle Persönlichkeit, die uns namentlich durch Krech empfohlen ist. Auch Dein Freund Hetzer hatte sich dazu gemeldet, wir brauchten aber zu der Stelle einen Philologen. – Daneben gehen im geselligen Leben unsre Kränzchen fort. Bei v. Plehwe haben wir den Sybel (über die deutsche Nation u. das Kaiserreich) gelesen, ein treffliches, für die richtige Auffassung der deutschen Geschichte || und der gegenwärtigen deutschen Frage höchst anregende Schrift, die Du lesen mußt.

Plehwe u. Mimmi lassen Dir ihre Glückwünsche sagen. Die Alten sind munter und werden morgen mit mir im kleinen Familienkreise Deinen Geburtstag feiern.

Nun Gott befohlen, altes Haus, hoffentlich hören wir morgen von Dir etwas.

Dein treuer Bruder

Karl.

Die Aeltern grüßen und wünschen mit mir Deinem Freund Petzold gute Besserung.

a gestr.: der

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
15.02.1862
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 34951
ID
34951